Samstag, April 20, 2024
Diary

Tagebuch eines Irren #1

Als ich klein war, lebte ein Junge namens Pavel in unserer Nachbarschaft. Er war ein sehr zurückhaltender Charakter und hatte kaum Freunde. Vor einigen Jahren traf ich ihn, und er erzählte mir, dass er beschlossen habe zu verschwinden – er wolle sein Leben künftig in einer Kommune auf einer der Kapverdischen Inseln verbringen. Auf meine Frage nach dem Grund für diesen Entschluss kramte er ein altes Tagebuch hervor und übergab es mir mit der Aussage, das ich alles verstehen würde, „wenn du DAS nur liest“. Da wir Pavel wohl nie wieder sehen werden und er sowieso meinte, ich könne mit dem Tagebuch machen, was ich wolle, wird es nun hier Stück für Stück veröffentlicht. Denn ich (alleine) verstehe nicht ganz, was ihn wohl bewegt hat.

Liebes Tagebuch, wir schreiben heute den 1.12.1998;

ich habe heute begriffen, wie toll die welt doch ist… obwohl mich gestern ein Laster angefahren hat, kann ich heute schon wieder den Computer bedienen, und das ganze sogar mit den Augen; die Augen sind ja genial, wenn ich die nicht hätt’… tja, des wär schade. das einzige problem ist ja, mit gebrochenen beinen und händen, um die wirbelsäule jetzt nicht zu vergessen, dass dieses scheiss-computerding immer nur „laster laster lkw lastwagen lastkraftwagen“ hinschreibt, wenn ich abwesend bin….. ich weiss nicht, das sind die momente im leben, in denen ich glücklich bin….. glaube ich… ich weiss nicht. ausserdem liebes tagebuch, …. ich muss aufs klo, werde gleich abgeholt, mein topf ist schon wieder voll – aber der arzt hat gesagt, dass ich spätestens in 3 monaten schon wieder mit dem rollstuhl fahren werde können; die technik ist ein wahnsinn – im rollstuhl werde ich in hedonismus schwelgen….. ich werde mein leben neu gestalten… mit rollstuhl, ich werde nurmehr dorthin fahren, wo mein kopf gerade hinhängt, meine hände sind dann nämlich noch immer nicht steuerungsfähig…. gestern war ein mensch hier, ein vertreter, wie er gesagt hat. …. er war abgrundtief böse … er hat viagra in der infusion aufgelöst… das gelächter des krankenhauspersonals war bedrückend … fuck! der arzt, prof. S.Forcher, hat mir versprochen, dass ich bald wieder voll funktionsfähig sein werde. aber wann …. wann wird das sein? ich schätze, bis dies eintrifft, habe ich mich schon selbst gefunden…. wer hat das schon? und da ich gerade arbeitslos bin, denke ich mir, das ist doch die beste referenz ist, die man sich vorstellen kann! ich bin sooo verdammt gut… wer hat sich heutzutage schon noch selbst gefunden! so… gute nacht liebes tagebuch, ich werde gerade weggetragen … ich sehe leider nicht, ob es das krankenhaus-personal ist, oder schon wieder diese beschissenen chinesen, die mir diesmal die letzte niere wegnehmen…. sakra…..

Pavels Illustration #1
Pavels Illustration #1