Montag, April 15, 2024
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Wahrer Alpinismus – wahre Alpinisten. Teil 4: Pioniere der Industriekletterei

Kulturelle Phänomene, wie das Bergsteigen, werden aus den unterschiedlichsten Motiven „erfunden“,  finden Akzeptanz, werden „gelebt“, und wenn einige Zeit vergangen ist, werden sie historisch aufgearbeitet. So wurde beispielsweise die alpinistische Erschließung des Gesäuse (bzw. Xeis) von den Autoren Hasitschka/Kren/Mokrejs im Buch „Gesäuse-Pioniere“, anhand von Biographien und kulturellen Artefakten vergangener Zeit, akribisch recherchiert und  aufschlussreich dargelegt.

Heute ist das Bergsteigen nahezu ein Breitensport und existiert in zig unterschiedlichen Ausprägungen, vom „Hiking“, übers Klettern, bis hin zum Expeditionsbergsteigen, in und auf allen erdenklichen Terrains. Seit einigen Jahren entwickelt sich auch ein Berufszweig, das Industrieklettern. Dabei werden Arbeiten in großen Höhen oder Arbeiten an schwer zugänglichen Gebäudebereichen mit den Mitteln des Bergsteigens, also Seil- und Sicherungstechnik, durchgeführt.

20140204_diary044_caminito_oldDoch Industrieklettern ist nichts neues, sondern lediglich ein neues Label für etwas, das in unserer Kultur schon viel länger existiert als das Bergsteigen: Dass sich Menschen in  Gefahr begeben, um ihr Überleben zu sichern bzw. ihrem „Brotberuf“ nachzugehen. Bevor das Phänomen Sport erfunden war oder das alpine Entdecken breite, gesellschaftliche Prestige genoss, überquerten Menschen gefährliche Bergpässe, kletterten auf Kirchtürme, oder bauten Brücken und Aquädukte. Als historische Information bei Monumentalbauwerken finden sich dann oft Angaben über die Anzahl der beteiligten Arbeiter und der vermeintlich beim Bau Verunglückten. Dies löst zwar Bewunderung und Erstaunen aus, doch vermag es kaum eine plastische Vorstellung der tatsächlichen Arbeitsbedingungen hervorzurufen. Es gäbe also meiner Meinung nach noch viel zu tun für engagierte Historiker.

Zeugnisse dieser „Pioniere der Industriekletterei“ finden sich weltweit zu Hauf. Persönlich besonders fasziniert bin ich von den Triftsteigen, deren Reste man in einigen engen Schluchten der Alpen sehen kann. Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich daran denke mit welch‘ rudimentären Sicherheitstechniken diese Steige in den Fels gebaut wurden – und erst recht, wenn ich daran denke, dass diese Steige zum Triften von tonnenschwerem Holz genutzt wurden.

Erinnert wurde ich daran ganz wo anders, nämlich in Spanien, beim Begehen des Caminito del Rey. Dieser Steig ist eine wirklich beeindruckende Pionierarbeit in einer engen Schlucht. Er wurde von 1901 bis 1905 errichtet und diente dem Bau und der Wartung von Wasserführungen eines Kraftwerks. Nachdem er nie restauriert wurde, wandelt man heute auf einem stellenweise weggebrochenen Eisen-Ziegel-Mörtel-Pfad, der einen Meter Breite hat und sich 100 Meter über dem Bachbett entlang der Felswand schlängelt. Das Gehen darauf ist zwar etwas furchteinflößend, doch es ruft nostalgische Gefühle und Respekt vor den am Bau beteiligten Arbeitern hervor.

Die Geschichte des Caminito del Rey wurde relativ gut aufgearbeitet und lässt sich an mehreren Stellen im Netz nachlesen. Auch wenn es sich dabei um die Historie eines Bauwerks handelt, so finde ich trotzdem, dass solche und ähnliche Geschichten auch einen Platz in der Geschichte des Alpinismus verdient haben. Es sind Geschichten der Pioniere der Industriekletterei.

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