Freitag, März 22, 2024
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Europa vs. USA

Karikatur über die Ausweitung der Monroe-Doktrin (1906 / wikimedia commons)
Darstellung eines US-Karikaturisten zur Ausweitung der Monroe-Doktrin (1906 / wikimedia commons)

Kein Mensch will Opfer von Verallgemeinerungen werden. Dennoch ist immer wieder die Rede von „den Amerikanern“, und umgekehrt von „den Europäern“, wenn es um kulturelle Eigenheiten oder spezielle Dumm- und Besonderheiten von Menschen am jeweiligen Kontinent geht. Dabei wird nicht selten der Einzelfall zum Paradebeispiel. Gemeint sind meistens auch eher US-Bewohner als Amerikaner und Westeuropäer statt Europäer.

Stereotypen entstehen unter anderem dadurch, dass Menschen oft nicht auf direkte Erfahrungen zurückgreifen und stattdessen auf medial vermittelte, vereinfachte Sprachbilder zurückgreifen. Der Journalist und Schriftsteller Walter Lippmann, der 1922 den Begriff einführte, definierte Stereotypen als „erkenntnis-ökonomische Abwehreinrichtung gegen die notwendigen Aufwendungen einer umfassenden Detailerfahrung“.

Der Vergleich von „Wir“ und „den Amerikanern“ hinkt also sicher sehr oft, weil man wenig über Land und Leute weiß, und einen eher unpassenden Maßstab anlegt. Die USA sind im geographischen Größenvergleich eher mit Gesamteuropa als mit Österreich vergleichbar (9,8 Mio. km² vs. 10,18 Mio. km²; 50 Bundesstaaten vs. ~50 Nationalstaaten). Ohne eine solide kulturell verankerte Europäische Identität hinkt der Verleich von „Uns“ und den „Amis“ also ohnehin. Um zu illustrieren, dass die USA vielleicht sogar eine inhomogenere Staatensammlung als Europa ist, sind ein paar Gegenüberstellungen angebracht. Dabei wird schnell ersichtlich, dass sich viele verallgemeinernde Vergleiche wohl besser auf US-Bundesstaaten als auf die gesamte USA beziehen sollten:

Bevölkerung: Wyoming ist mit rund 500.000 Einwohnern der bevölkerungsärmste Bundesstaat, wobei seine Hauptstadt Cheyenne ca. 60.000 Einwohner beherbergt. Von der Einwohnerzahl würde dies auf Bundesebene Luxemburg entsprechen, die Hauptstadt Cheyenne besitzt eine Größe wie die Weltstädte Wels oder Villach. Am anderen Ende der Skala liegt Kalifornien mit rund 37,5 Millionen Einwohnern mit LA als größtem Ballungsraum. Im Europäischen Vergleich entspräche das Polen mit 38 Mio. Einwohnern, während eine Metropolregion wie LA in Europa kaum zu finden ist. Nur Moskau und Istanbul bieten mit rund 15 Millionen ähnliche vielen Menschen eine Heimat.

BIP-Vergleich der US-Bundesstaaten mit anderen Staaten
BIP-Vergleich der US-Bundesstaaten mit anderen Staaten

BIP: Nach Zahlen auf dem Jahr 2013 besitzt Vermont ein BIP von 30 Mrd. Dollar, was mit der Wirtschaftsleistung von Lettland vergleichbar wäre. Kalifornien nähert sich mit einem BIP von ca. 2.400 Mrd. Dollar der wirtschaftlichen Leistung von ganz Italien an. Betrachtet man das reale BIP/Kopf kommen auf Menschen in Mississippi rund $31.500, was in etwa dem BIP/Kopf in Griechenland entspricht. Mit über $66.000 BIP/Kopf geht es den Einwohnern von Alaska fast wie den Schweizern.

HDI: Der Human Development Index ist ein Wohstandsindikator der UNO und bezieht neben den ökonomischen Verhältnissen auch Lebenserwartung und Bildungsdauer ein. Man könnte sagen, der HDI gibt Einsichten in den „Entwicklungsstand“ eines Landes. Während die gesamte USA mit einem Wert von 0.950 zu einem der höchst „entwickelten“ Länder der Welt zählen, sieht die Binnensituation in der USA etwas anders aus. Bundesstaaten wie Arkansas, Louisiana, West Verginia oder Mississippi weisen Werte um die 0.8 auf, womit sie international mit Ländern wie Albanien, Brasilien oder der Türkei vergleichbar sind.

Schematische Darstellung der Verteilung
Schematische Darstellung zur möglichen Vermögensverteilung. Der Text bezieht sich auf die Einkommensverteilung. Die Daten zur Vermögensverteilung weisen jedoch eine weitaus schiefere Verteilung auf.

Ein weiterer interessanter Indikator ist der Gini-Koeffizient. Er gibt Aufschluss darüber, wie gleichmäßig Vermögen oder Einkommen in einem Land verteilt sind. Je niedriger der Wert ist, desto gleichmäßiger verteilen sich die Einkommen eines Landes. Länder wie Österreich oder Schweden haben dementsprechend Werte wie 26 (2007) oder 24,8 (2012). Die USA liegen bei 46,6 und sind auf Basis des Gini-Koeffizienten mit China, den Philippinen oder vielen Afrikanischen Staaten vergleichbar. Den höchsten Wert in Europa besitzt Portugal mit 38. Die große Anzahl von Menschen, die in den USA in unterbezahlten Arbeitsverhältnissen stehen, während sich andererseits sehr viel Kapital in den Händen einer mächtigen Elite befindet, ist somit für einen Europäer schwer vorstellbar.

Die "unterentwickelten" Bundesstaaten der USA
Die „unterentwickelten“ Bundesstaaten der USA

Ein Gegenüberstellung, die „Wir“ und „die Amerikaner“ umfasst, bedeutet quasi Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Denn ein „Wir“ bedeutet in den meisten Europäischen Ländern ein nationales Wir. Ich denke, dass auch nur die wenigsten Österreicher Europa im Kopf und im Herzen haben, wenn sie die eigene Lebenssituation holprig mit den „Amis“ vergleichen. Vorschnelle Urteile sind deswegen aber keineswegs gerechtfertigt. Kein Mensch wird gerne Opfer von Verallgemeinerungen.

Weiterführende Links / Quellen