Donnerstag, Dezember 26, 2024
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Tanz den Eiertanz!

Der Eiertanz, Pieter Aertsen, 1552 (via wikimedia commons)
Der Eiertanz, Pieter Aertsen, 1552 (via wikimedia commons)

Jedermensch kennt die Redewendung „einen Eiertanz [um etwas] machen“. Sie kommt meist dann zum Einsatz, wenn jemand vorsichtig mit einer Angelegenheit umgeht bzw. sehr lange zögert eine Entscheidung zu treffen, um etwaige Probleme zu vermeiden. Woher die lautmalerische Wendung kommt, und ob es wirklich einen Eiertanz gibt, ist das Thema das heutigen Beitrags.

Eine historische Form des Eiertanzes ist aus den Niederlanden bekannt. Bei diesem Volksbrauch wurde ein Ei mit einer Holzschale verdeckt, woraufhin Mädchen oder Burschen im Zuge eines Tanzes die Schale herunterhoben und das Ei rituell umtanzten. Wer das Ei beschädigte, musste es essen. Da sich im deutschen Sprachraum bis ins Jahr 1795 keine schriftliche Erwähnung des Eiertanzes findet, kann angenommen werden, dass diese Form des Eiertanzes im deutschen Sprachraum keine Tradition hatte.

Goethe war der Erste, der den Eiertanz auf Deutsch erwähnt und beschreibt. In seinem Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre tanzt ihn seine Mignon so:

Sie brachte darauf vier Lichter, stellte eins auf jeden Zipfel des Teppichs.  Ein Koerbchen mit Eiern, das sie darauf holte, machte die Absicht deutlicher.  Kuenstlich abgemessen schritt sie nunmehr auf dem Teppich hin und her und legte in gewissen Massen die Eier auseinander, dann rief sie einen Menschen herein, der im Hause aufwartete und die Violine spielte.  Er trat mit seinem Instrumente in die Ecke; sie verband sich die Augen, gab das Zeichen und fing zugleich mit der Musik, wie ein aufgezogenes Raederwerk, ihre Bewegungen an, indem sie Takt und Melodie mit dem Schlage der Kastagnetten begleitete.

Behende, leicht, rasch, genau fuehrte sie den Tanz.  Sie trat so scharf und so sicher zwischen die Eier hinein, bei den Eiern nieder, dass man jeden Augenblick dachte, sie muesse eins zertreten oder bei schnellen Wendungen das andre fortschleudern.  Mitnichten!  Sie beruehrte keines, ob sie gleich mit allen Arten von Schritten, engen und weiten, ja sogar mit Spruengen und zuletzt halb kniend sich durch die Reihen durchwand. (Wilhem Meisters Lehrjahre, Buch 2, 8)

Bismarck beim "Politischen Eiertanz", Frankfurter Laterne , 1863 (via nwzonline.de)
Bismarck beim „Politischen Eiertanz“, Frankfurter Laterne , 1863 (via nwzonline.de)

Im Unterschied zur niederländischen Variante beschreibt Goethe den Tanz als Schautanz von fahrenden Künstlern und Zigeunern. Es ist wohl diese Form des Tanzes, die später symbolisch ins Sprachliche übertragen wurde. 1863 taucht der Eiertanz in einer Karikatur auf, die Bismarck im Ballerina-Kostüm zeigt, während er zwischen Eiern tanzt, die mit „Gesetz“, „Verfassung“, etc. beschriftet sind. Im zugehörigen Text dieses „Politischen Eiertanz“ findet sich mit „Zertreten, nein!“ auch ein vermeintlicher Verweis auf Goethes Vorlage aus dem Roman. Ab Ende des 19. Jahrhunderts schien der Eiertanz immer wieder in Zeitungen und Reden auf und fand schließlich in übertragener Form auch Eingang in Wörterbücher.

Der Eiertanz ist heutzutage im deutschen Sprachgebrauch eine Selbstverständlichkeit. Spätestens seit 2011 scheint er jedoch auch in den englischen Sprachraum überzuschwappen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg verwendete den Term „German Eiertanz“, um die Haltung Deutschlands in der Eurokrise zu beschreiben.

Ob den wahren Eiertanz noch jemand aufführt, ist mir leider nicht bekannt…

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