Immer wieder werde ich gefragt, was ich im Sommer beruflich mache und immer wieder sage ich: „Wegerl graben im Gesäuse!“. Diese Antwort bringt immer Erklärungsbedarf mit sich. Es spielt auch keine Rolle, wenn ich zur Benennung meiner Sommertätigkeit einfacher verständliche Umschreibungen wie „Wanderwege bauen“, „Wanderwege sanieren“ oder „Wege machen“ verwende: Das Bild vor dem inneren Auge bleibt aus. Aus diesem Grund werde ich mich hier um eine ausführliche Beschreibung eines Berufs bemühen, der längst vergessen scheint, und irgendwie gerade eine kleine Renaissance erfährt: Wegmacher.
etwas zur Geschichte…
Wie viele andere Berufe ist der Wegmacher im Laufe der Zeit abhanden gekommen. Obwohl zahlreiche Familien- und Ortsnamen an die „Nagelschmiede“, „Bader„, „Müller“, „Seiler“ oder „Wegmacher“ erinnern, verweisen sie allesamt auf handwerkliche Berufe, die mittlerweile durch industrielle Produktion oder den Einsatz moderner Maschinen obsolet geworden sind.
So ist es eigentlich nicht verwunderlich, dass das Berufsbild des Wegemacher den Köpfen der Menschen entrückt ist. Wir leben in einer derart „zivilisierten“ Welt, dass es selbstverständlicher ist, sich über schlechte Straßenbedingungen zu beschweren, als sich dem altbackenen Gedanken hinzugeben, dass sich ohne aufwendige Bau- und Wartungsarbeiten „die Natur“ ihren Platz zurückerobert. In rund 200 000 Jahren Menschheitsgeschichte wurden jedoch erst ab dem 18. Jahrhundert Straßen gebaut, die den heutigen ähneln, und erst vor rund 150 Jahren die ersten Straßen asphaltiert. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts hatten die Wegemacher, die mit ihren Familien oft in Häusern lebten, die „ihre Straße“ direkt passierte, die Aufgabe, die meist aus gepresstem Schotter und Kies bestehenden Straßen instand zu halten. Danach wurden sie durch Straßenmeistereien der öffentlichen Verwaltung ersetzt.
Nachdem die „Wege“ nunmehr „Straßen“ heißen, sind hauptamtliche Wegemacher heutzutage nur noch in einigen alpinen Regionen zu finden. Sie kümmern sich um die Instandhaltung von Wanderwegen in Gebieten, in denen der ROI eines gut erhaltenen Wegesystems durch Einnahmen aus dem Tourismussektor zweifelsfrei gegeben ist.
Die Sanierung alpiner Wege
Trügerisch täuscht all der Fahr- und Gehkomfort, der heutzutage geboten wird. In der Landschaftsgestaltung spielen Naturgewalten heute die gleiche Rolle wie anno dazumals. Niederschläge, Gewitter, Stürme, Geländerorsionen und der schlichte „Ausbreitungswille“ der Pflanzenwelt sind Einflüsse, die eine regelmäßige Wartung von Wegen erforden, wenn Menschen halbwegs bequem von A nach B gelangen wollen. Auch für mich waren die Aufstiege zu diversen Schutzhütten, Kletterrouten und Berggipfeln eine reine Selbstverständlichkeit. Unreflektiert war ich der Meinung, dass Wanderwege halt „einfach da“ sind, und sich vielleicht hin und wieder jemand um die Instandhaltung kümmert.
Tatsächlich sind die Sektionen der alpinen Vereine für einen Großteil der Wanderwege in Österreich verantwortlich und kümmern sich um deren Wartung. Seit Jahrzehnten rackern ehrenamtlich tätige Vereinsmitglieder am Erhalt des alpinen Wegesystems. In Gebieten wie der Nationalparkregion Gesäuse ergibt sich daraus ein Verhältnis von rund einigen hundert Kilometer Wanderwegen zu einigen hundert Vereinsmitgliedern. Abzüglich Kinder, Greise und nicht aktiv am Vereinsleben teilnehmender Mitglieder verbleiben ein paar Dutzend potentieller Einsatzkräfte, die sich der Wegeerhaltung widmen können. Doch auch in der verbleibenden Gruppe schwindet das Engagement für ehrenamtliche Tätigkeit seit Jahren. Verantwortlich dafür sind einerseits immer prekärer werdende Arbeitsverhältnisse im Brotberuf, steigende Pensionsantrittsalter, ein schrumpfender Arbeitsmarkt und ähnliche gesellschaftliche Probleme, andererseits ein dezenter Wandel im Wertesystem, der vielen ich-zentrierten Freizeithelden eine höhere Reputation einräumt, als Menschen, die sich gemeinnützig engagieren.
Die „Aktion Sichere Wege“
Um die Wanderwege der Gesäuseregion wieder in einen Zustand zu bringen, der eine Erhaltung durch freiwillige Tätigkeit erlaubt, wurde im Jahr 2013 die „Aktion Sichere Wege“ ins Leben gerufen, die von zahlreichen Institutionen finanziell unterstützt wird. Binnen drei Jahren sollen mithilfe einiger Werkvertragsbediensteter und Freiwilliger die mittlerweile notwendigen Verrichtungen entlang des bestehenden Wegesystems professionell durchgeführt werden.
Wie immer, wenn auch öffentliche Gelder im Spiel sind, polarisieren die Meinungen über die Sinnhaftigkeit deren Einsatzes. Obwohl die Resonanz auf die Sanierungstätigkeiten großteils positiv und begeistert ausfällt, finden sich auch Stimmen, die dem Projekt zurückhaltend oder ablehnend gegenüberstehen. Kommentare wie „Wir brauchen hier keine Autobahn“, „Es hat bis jetzt auch ohne großartige Sanierung funktioniert“ oder „Dann kommt ja jeder Depp da rauf“ wirken nicht sonderlich konstruktiv und übergehen schlichtweg einige relevante Tatsachen:
- Gut begehbare Wege wurden immer schon gewartet. Ob nun Bauern, Förster, Jäger, Bergsteiger, Hüttenwirte, die alpinen Vereine oder andere pflichtbewußte Zeitgenossen – von Mal zu Mal haben sie Zeit investiert, mit mehr oder weniger ökonomischem Hintergrund. Denn die Arbeit des Wegebaus hat sich noch nie von selbst erledigt. Auch wenn sie nicht sichtbar ist.
- Es werden keine Autobahnen auf Berge gebaut. Das Ziel der Sanierungstätigkeiten ist ein nachhaltiger und langfristiger Erhalt der bestehenden Wege. Nur wenige Menschen bevorzugen es, knöcheltief im Morast und Schlamm zu waten, umständliche Treppen hochzusteigen, auf Wurzeln, Lehm oder losem Geröll auszurutschen, oder sich im Nebel zu verirren. Das Instandsetzen von Wanderwegen bedeutet nicht, den Wegen ihren alpinen Charakter zu nehmen. Ein gut begehbarer Weg soll den Aufstieg erleichtern und verhindern, dass willkürlich neue Wege ausgetreten werden, da es, je nach Vorliebe, links herum, rechts herum, drüber, drunter oder querfeldein „besser zu gehen“ ist. Bei zu vielen Wegvarianten, Abschneidern und -kürzungen leidet nicht nur die alpine Flora, auch die Gefahr von Erosionsschäden steigt beträchtlich.
- Sanierte, attraktive Wanderwege sollen Urlaubsgäste und Einheimische dazu einladen, auf die zahlreich vorhandenen Berge und Schutzhütten zu wandern. Nicht nur, weil der Bergtourismus ein wichtiges ökonomisches Standbein vieler Alpenregionen ist. Auch erfahrene Bergsteiger sind nach stundenlangem Gehen müde, werden (wie andere Menschen auch) älter, und wollen sich bei einem „läppischen“ Hüttenabstieg nicht den Knöchel brechen. Gute Ausrüstung und Verantwortungsbewußtsein sind weiterhin gefragt. Immerhin werden keine Seilbahnen, Lifte, Zufahrtsstraßen oder gar Rolltreppen errichtet, sondern Wege wegsamer gemacht.
Zu den Tätigkeiten des alpinen Wegemachers
Nachdem ich ausführlich über Sinn und Unsinn des Wegesanierens berichtet habe, will ich nun einige Tätigkeiten eines Wegemachers kurz vorstellen. Nur wenige Verrichtungen entsprechen hier einer Norm oder sind standardisiert. Meist gibt der bestehende Weg und das Gelände die Arbeit vor. Je nach angegebener Schwierigkeitsstufe des Wegs, die auf der Beschilderung mit blau, rot oder schwarz vermerkt ist, wird zudem berücksichtigt, welchen Geh- und Sicherheitskomfort der Weg zukünftig bieten soll. Dies entscheidet oft darüber, wie breit oder steil ein Weg angelegt sein soll, ob Tritthilfen installiert werden, und welche Hindernisse als zumutbar erachtet werden können.
Arbeiten auf dem Weg (meist „Kraump’m schwingen“)
Das wohl wichtigste Werkzeug im alpinen Wegebau ist die so genannte Wegmacherhaue. Sie kommt immer dann zum Einsatz, wenn Wege verbreitert oder neu angelegt werden, Löcher und Rinnen auszuheben, oder Wegränder abzugraben sind. Vor allem letzteres soll dazu dienen, dass sich kein Regenwasser in den Wegen sammelt, sondern seinen Weg ins Gelände schnell wieder findet. Dementsprechend wird bei der Bearbeitung der Wege meist darauf geachtet, eine leichte talseitige Neigung zu wahren, oder in regelmäßigen Abständen Abflussrinnen zu installieren. Bietet der Wanderweg dem Wasser das beste Bachbett, so ist schon nach relativ kurzer Zeit damit zu rechnen, dass sich der Weg tief ins Gelände eingräbt, erodiert, oder schwer begehbar wird. Ansonsten lässt sich die Wegmacherhauer auch wunderbar zum Bewegen oder Spalten schwerer Gesteinsbrocken, das Abhacken toter Äste und Wurzeln, dem Schlagen von Steinstufen, oder den Abtransport von Schutt verwenden. Für die Arbeit am Waldboden oder auf Hochwiesen kommt hie und da auch eine Wiedehopfhaue zum Einsatz.
Wegabschnitte mit hoher Steigung werden in der Regel mit Trittstufen aus großen Steinen, vorhandenen Wurzeln, oder Holzbrettern versehen. Längere Passagen können den Bau einer Treppe oder Leiter aus Holz erfordern. Hindernisse, wie Baumstümpfe oder Felsbrocken werden entfernt, oder gut umgehbar in den Weg integriert. Schlammige Passagen erfordern das Anlegen einer Drainage, die Anbringung von Tritten aus Holz oder Stein, oder das Schleppen von Kies, um den Untergrund zumindest halbwegs rutschfrei zu gestalten.
Schließlich werden noch Markierungen angebracht, die auch bei Nebel und Unwetter den richtigen Weg weisen sollen.
Arbeiten mit Holz („Sagln“, „Zwickn“, „Bankerlbaun“)
Während der niedere Bewuchs direkt am Weg zu bearbeiten ist, lauern florale Hindernisse auch ringsherum. Mit großen Astscheren, Kettensägen und Teleskopsägen werden Wegabschnitte freigeschnitten, an denen Bäume und Sträucher die Passierbarkeit erschweren. Dabei ist auch wichtig die „Psychologie der Wanderer“ zu beachten: Auch Bewuchs, der die Wegränder noch nicht erreicht hat, kann zu Ausweichverhalten seitens der Passanten führen. Derart unbewußtes „Abdrängen“ kann dazu führen, dass der Weg verlassen oder gar zerstört wird.
In Absprache mit der zuständigen Forstverwaltung werden zudem umliegende Bäume gefällt, um Material für den Bau von Ruhebänken und Rastplätzen zu haben, oder einen verwachsenen Aussichtsplatz attraktiver zu gestalten.
Logistik
Da nahezu alle Tätigkeiten „fernab vom Schuss“ verrichtet werden, ist die genaue Planung eines Werktags unabdingbar. Neben allerlei Werkzeug und Material müssen auch ausreichend Kleidung, Verbandszeug, Flüssigkeit und Essen (bis zu 4500 kcal/Tag) mitgeführt werden. Nur ungern schleppt der Wegebauer einen Kilogramm zuviel, der vielleicht zwei Stunden lang auf den Schultern lastet, bevor er verwertet werden kann. Nicht zuletzt deshalb wird auch tunlichst darauf geachtet, Baumaterial zu verwenden, das in der Umgebung gewonnen werden kann. So wird eher der 500 kg schwere Stein gewälzt, vergraben und als Trittstufe präpariert, als dass Holzbretter aus dem Tal mitgenommen und verarbeitet werden.
Arbeiten im alpinen Gelände und Wissenstransfer
Bei weitem sind hier nicht alle Handgriffe erwähnt, die beim Wegebau anfallen. Generell lässt sich die Sanierungsarbeit von Wanderwegen als Tätigkeit charakterisieren, die viel Kreativität, Geschick und brachiale Gewalt benötigt. Da kein Wegabschnitt dem anderen gleicht, immer neue Herausforderungen warten, und immer wieder spontan langlebige Lösungen mit einfachsten Mitteln zu schaffen sind, ist das Spektrum an willkommenen Fähigkeiten schier unerschöpflich. Zudem fordert die selbstständige Sanierungsarbeit von Wegabschnitten eine ganze Menge „Hausverstand“.
Da kaum jemandem die große Menge impliziten Wissens in die Wiege gelegt wurde, ist das „sich gegenseitig Schulen“ der Wegmacher eine wichtige Aufgabe. Über eine geduldige und vor allem auf Verständnis basierende Erklärung von einzelnen Arbeitsschritten soll jedeR am Weg Tätige binnen ein paar Wochen in die Lage gebracht werden, anspruchsvolle Situationen in Eigenregie bewältigen zu können, den angemessenen Ressourcenbedarf einzuschätzen, Hilfe anzufordern und anzubieten, sowie das angesammelte Wissen weiterzugeben oder konstruktiv einzubringen.
Bei aller Seniorität zwischen den Menschen bleibt letztendlich die Natur die Meisterin der Wegmacher. Jede noch so alteingesessene Lösung und jedes akademisch erarbeitete Patentrezept wird beim Wegebau schnell auf die empirische Probe gestellt. Von einem Tag auf den anderen schwemmt ein Gewitter den „perfekt verankerten Stein“ vom Weg, lässt ein Sturm den Baum stürzen, der „sicher noch 100 Jahre dort steht“, oder ein „solide angelegter Wegabschnitt“ erodiert einfach ohne ersichtlichen Grund. Es gibt immer etwas zu lernen. Wenn man sich gegenseitig nichts beibringt, hat man von Anfang an verloren. Für den Fall, das alles so hält, wie man es wollte, kommt der nächste Winter bestimmt. Es gibt jedes Jahr etwas zu lernen.
Schlussbemerkung
In den letzten zwei Jahren hatte ich das Glück, an der „Aktion Sichere Wege“ als Werkvertragsnehmer teilzunehmen. Noch nie zuvor hatte ich einen Beruf, der derart fordert, noch nie hatte ich einen derart schönen Arbeitsplatz. Tägliches Aufstehen vor dem Morgengrauen, Arbeitszeiten, die mehrfache Übernachtungen erfordern, unaufhörliches Verschlingen energiereicher Nahrung, körperliche Strapazen, Schmerzen und Verletzungen werden kompensiert durch täglich neue Naturspektakel, der Möglichkeit zur Hingabe zu einer sinnvollen Tätigkeit, einen endlosen Lernprozess, und einen traumhaft kollegialen und vom gemeinsamen Lachen durchsetzten Arbeitsalltag.
Ob bezahlt oder ehrenamtlich, meinerseits sei jedem Menschen empfohlen sich an der Wegeerhaltung zu beteiligen. Wer’s nicht für sich selbst tun will, kann’s auch für den Dank zahlreicher Wanderer und Hüttenwirte tun. Und auch die Volkswirtschaft wird’s danken, immerhin ist Österreich Land der Bergtouristen! (Und alleine mit den verkorkst-versenkten Hypo-Milliarden wäre eine „Aktion Sichere Wege“ rund 200 000 Jahre lang finanzierbar). Mein Dank gilt jedenfalls allen, die sich seit Jahr und Monat, so oder so, um die Erhaltung der alpinen Wanderwege kümmern!
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Quellen / Weiterführende Links
- Das Wegehandbuch der Alpenvereine (pdf)
- Baustelle Berg, Homepage der Aktion Sichere Wege auf gesaeuse.at
- „Alpine Wegesanierung im Gesäuse“ auf nationalpark.co.at
- „Wegemacher Gossa Toni“ bei der 1980er TV-Show „Was bin ich?“ auf youtube.com
- Video-Kurzbericht: Der Wegemacher aus Appenzell auf 3sat.de
- „Freiwilliges Engagement in Österreich“ (2009/pdf) auf sozialministerium.at