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Interview: Gefahren und Potentiale der digitalen Zukunft

Trift befragt zwei Experten zur Zukunft der digitalen Medien. In den 1980er Jahren war „das Internet“ noch ein Fachbegriff. Für die Normalbevölkerung beschränkte sich elektronische Telekommunikation auf wenige Anwendungen – Fernsehen und Radio lieferten einseitig Information und Unterhaltung – Interaktivität bot nur das Telefon. Rund 30 Jahre später ist „das Netz“ aus dem Alltag vieler Menschen gar nicht mehr wegzudenken.

Spätestens seitdem uns das Internet per Smartphone auf Schritt und Tritt begleitet, entwickeln sich in immer höherem Tempo immer neuere Technologien und Anwendungsmöglichkeiten, die unsere Lebenswelt durchdringen. Mit den zahlreichen Vorteilen, die sich durch die digitale Vernetzung ergeben, mehren sich jedoch auch die Risiken des digitalen Zusammenwachsens. Um etwas Klarheit in ein Netz verworrener Ahnungen und Ängste zu bringen, traf sich Trift-Redakteur Herbert Murger zu einem kurzen Streitgespräch mit zwei Experten, die durchwegs unterschiedliche Grundsätze zu verteidigen wissen: Der Technologieskeptiker Ernst Baldav, Professor für Futurologie und Gesellschaftsentwicklung an der Universität Schwarzhofen, und Dr. Johann Vrei vom Institut für Digitale Medien und Integration, der erst vor kurzem mediales Interesse auf sich zog, als er öffentlich eine weitreichende Auflockerung der europäischen Datenschutzrichtlinien zugunsten einer verbesserten Innovationspolitik forderte.

Murger: Herr Vrei, sie vertreten die Meinung die europäischen Datenschutzrichtlinien würden Innovation behindern. Wie ist diese Kritik zu verstehen? Werden wir nicht jetzt schon ausufernd überwacht und ausspioniert?
Vrei: Ich sehe die Informationstechnologie als das Medium unserer Zeit. Ein großer Vordenker auf diesem Gebiet, Marshall McLuhan, war überzeugt, dass die Werkzeuge einer historischen Epoche eine Erweiterungen der menschlichen Sinne sind. Wenn Menschen heutzutage kommunizieren, können andere über vernetzte Technologie ihre Wege nachvollziehen, an den Produkten ihrer Arbeit teilhaben und in Echtzeit Gedanken mit ihnen austauschen. Im größeren Maßstab bedeutet dies, dass die Menschheit quasi zu einem großen Organismus zusammenwächst. Dadurch haben wir nicht nur die Möglichkeit zu verstehen, wie wir als Menschen funktionieren, um unsere Bedürfnisse besser fassen zu können, sondern sind auch viel effizienter in der Entwicklung von neuen Werkzeugen, die uns das Leben erleichtern können. Innovation besteht aus der Kombination vieler kleiner Ideen und Bausteine. Je leichter diese zugänglich sind, desto schneller und besser wird sich die Menschheit weiterentwickeln. Übertriebener Datenschutz verhindert, dass Menschen gegenseitig an ihren Leben und ihrer Arbeit teilhaben können, und lässt so Innovation stagnieren. Wir denken, forschen und entwickeln derzeit noch an vielen Orten der Welt zeitgleich die gleichen Dinge, obwohl wir unsere Kräfte bündeln könnten, und wir arbeiten noch immer mit ungenauen Modellen menschlichen Verhaltens, da uns viele wertvolle Datenquellen verschlossen bleiben.

Murger: Herr Baldav, sie sind vor allem als Skeptiker bekannt. Wie sehen sie das Verhältnis von Innovation und Datenschutz?
Baldav: Ich schätze Herrn Vreis Idealismus als Technologe, doch verliert er den Blick für die gegenwärtigen Machtverhältnisse. So nett der Gedanke des globalen Dorfs, in dem wir gemeinsam für eine bessere Zukunft kämpfen, auch sein mag, dürfen wir nicht vergessen, dass die Werkzeuge, die uns verbinden, in der Hand großer und mächtiger Akteure liegen. Damit meine ich einerseits Regierungen und andererseits Technologiekonzerne. Freie Bürger müssen die Möglichkeit zu freiem Meinungsaustausch haben. Der Datenschutz ist dabei ein wichtiges Instrument. Immer wieder gibt es Bestrebungen Kommunikation zu kontrollieren und einhergehend Bestrebungen, diese Kommunikation selektiv zu unterbinden. Ich denke hierbei an relativ junge Vorfälle, die gezeigt haben, wie schnell Organisationen als terroristische Vereinigung bezeichnet und angegriffen werden können. Das ist nur die Oberfläche möglicher Zensur, die darauf basiert, dass Menschen unter Verdacht geraten, nur weil sie sich vernetzen, um gesellschaftliche Missstände aufzuzeigen. Der Datenschutz hat somit auch eine Funktion uns vor den eigenen Regierungen zu schützen. Ähnliches gilt für die großen Serviceanbieter. Unternehmen wie Facebook und Google sammeln schon seit Jahren Informationen über ihre Benutzer. Diese werden zwar vordergründig dafür verwendet, um gewisse Services zu verbessern, wirken jedoch meines Erachtens stark innovationsfeindlich, Stichwort „Bubbling“.

Murger: Herr Vrei, auf was genau spielt Herr Baldav mit dem Wort „Bubbling“ ihrer Meinung nach an? Und warum widerspricht er ihnen damit in puncto Innovation?
Vrei: Nun ja, das Ganze ist eine Frage der grundsätzlichen Einstellung. Ich tendiere dazu optimistisch zu sein. Am Beispiel von Google kann man erkennen, wie nützlich gesammelten Nutzerdaten eingesetzt werden. „Bubbling“ bezeichnet den Effekt einer Technologie, die den Benutzern auf Basis gesammelter Daten exaktere und besser verwertbare Informationen zur Verfügung stellt. Daten wie Wohnort, Interessen, Alter, Beruf, etc. werden ausgewertet und sollen bei einer Recherche genau die Informationen liefern, die gesucht werden. So weiß Google, wenn ich beispielsweise nach dem Wort „Fahrrad“ suche, dass ich über die neuesten Trends bei E-Bikes Bescheid wissen will und liefert mir diese Informationen, ohne dass ich lange danach suchen muss. Wenn ich über Google Maps etwas über einen Ort in Erfahrung bringen will, sehe ich schnell, wo ich dort einkaufen und wo ich meine Lieblingsspeisen essen kann. Auch das spart Zeit und hält meinen Kopf für die wichtigen Dinge frei. Innovationsfeindlich kann diese Technologie dann sein, wenn Benutzer glauben, die Informationen, die sie in dieser „Bubble“ sehen, sind die besten Informationen, die es zu einem Thema gibt. Manchmal führt gerade eine Information, die man nicht dezidiert gesucht hat dazu, dass man einen neuen Aspekt an einer Sache erkennt, der zuvor nicht berücksichtigt wurde.
Baldav: Genau, man sitzt quasi in einem geistigen Gefängnis fest. Was nützt es, wenn man überall auf der Welt sein Lieblingsessen finden kann, während man an den besten regionalen Spezialitäten vorbeiläuft? Und was beim Essen anfängt, schlägt sich durch bis hin zur politischen Einstellung. Wenn ein Tischler nach „Eibenholz“ sucht und ihm immer die günstigsten Einkaufsmöglichkeiten präsentiert werden, da er die letzten drei Male Holz gekauft hat, wird ihm vielleicht entgehen, dass die Eibe fast ausgestorben ist. Da können sich noch so viele Menschen dafür einsetzen, dass der Verkauf von Eibenholz verboten werden soll, wenn die Information dann nicht ankommt. Wenn uns eine Maschine Informationen auf Basis dessen vorsetzt, wie wir momentan sind, bestimmt dies auch den Menschen, zu dem wir werden. Wir drehen uns im Kreis anstatt zu wachsen. Auf der persönlichen Ebene ist das auf jeden Fall innovationsfeindlich.

Murger: Herr Baldav, man wirft ihnen vor konservativ zu sein, da sie immer wieder betonen, dass die Zwischenmenschlichkeit in der digitalen Welt verloren ginge. Wird heute nicht viel mehr kommuniziert als früher?
Baldav: Es gibt Studien, die darauf hinweisen, dass, obwohl die Telekommunikation zunimmt, im Endeffekt weniger kommuniziert wird. Wenn uns das Mobiltelefon sagt, welchen Weg ich auf der Straße einschlagen soll, kommen wir nicht dazu, andere nach dem Weg zu fragen. Wenn ich das Gespräch mit meinem Gegenüber unterbrechen muss, um Telefonate zu führen und E-Mails zu beantworten, leidet dieses Gespräch darunter. Man darf nicht übersehen, dass in Momenten räumlicher Koexistenz mehr Informationen ausgetauscht werden, als Worte sagen können, oder Bilder zeigen. Das ist vor allem für die Vertrauensbildung wichtig. Nicht umsonst treffen sich heutzutage Geschäftsleute oder Politiker immer noch persönlich. Bei der Telekommunikation wird Qualität für Quantität eingetauscht – es wird nicht mehr oder besser.
Vrei: Das sehen sie etwas zu romantisch. Der räumliche Aspekt erzeugt auch Zwänge. Gerade gesellschaftliche Randgruppen waren in der Vergangenheit oft zum Schweigen verurteilt, wenn ihre Stimme vor Ort nicht gehört wurde, oder sie keine Akzeptanz fanden. Die vernetzte Welt bringt diese Menschen zusammen. Sei es für den gemeinsamen Kampf in politischen Anliegen, oder einfach für die gemeinsame Ausübung exotischer Freizeitbeschäftigungen. Viele Menschen, die unter der Enge konservativer Dorfstrukturen gelitten haben oder noch leiden, finden nun Mitstreiter oder Freunde. Für diese Menschen bringt die neue Kommunikation viel Lebensqualität.

Murger: Zum Abschluss eine Frage an beide Herren. Was wünschen sie sich von der Zukunft? Was braucht es, dass sich unsere vernetzte Welt gut entwickelt?
Vrei: Wie Herr Baldav vorher zurecht angemerkt hat, stehen meiner Vision noch viele Dinge im Weg, und Macht ist im Internet derzeit noch sehr ungleich verteilt. Im Umgang mit Daten und Informationen muss es zu absoluter Transparenz kommen. Wenn die Regierung mit unseren Daten hantiert, so hat auch jeder das Recht darüber Bescheid zu wissen. Wenn Konzerne wie Facebook oder Google uns Informationen lieferen, so soll jeder das Recht haben zu erfahren, wie es zu dieser Information kommt, und welche Marktinteressen dabei im Spiel sind. Außerdem ist es wichtig, dass die Netzneutralität gewahrt bleibt, ansonsten erwartet uns ein zusätzliches Ungleichgewicht finanziellen Reichtums.
Baldav: Ich kann Herrn Vrei dabei nur zustimmen. Anstatt jedoch zu hoffen, wäre es vernünftig zu informieren. Der Umgang mit den eigenen Daten und mit der Vielzahl von Anwendungen, die uns umgeben, erfordern hohe Achtsamkeit. Wir müssen deswegen schon bei unseren Kindern beginnen, und ihnen einen kritischen Zugang dazu vermitteln, wie man mit persönlichen Informationen umgeht, und wem Vertrauen geschenkt werden kann. Ansonsten laufen wir Gefahr zu Marionetten amtierender Mächte zu werden, die schon jetzt zu viel Kontrolle besitzen.

Dr. Johann Vrei
Prof. Ernst Baldav

Herr Murger, Herr Vrei und Herr Baldav, sowie deren Institutionen sind frei vom Autor erfunden und fiktiv. Eine wie auch immer geartete, zufällige Namensübereinstimmung liegt nicht in der Absicht des Autors und stellt keinen Affront dar.

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