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Afrikanisches Tagebuch #12 – Benga, letzte Eindrücke und Abflug

26.09.2019, Nairobi

Dreieinhalb sensationelle Wochen neigen sich dem Ende zu, ich sitze bereits am Jomo Kenyatta International Airport von Nairobi, benannt nach Kenias erstem Präsidenten, und lasse die eindrucksvolle, spannende Zeit Revue passieren, während ich auf meinen Flug nach Addis Abeba warte.

Die letzten drei Tage seit meiner Rückkehr aus Diani Beach nutzte ich, um meine Erlebnisse zu verarbeiten, letzte Souvenirs zu besorgen, mich mental auf meine baldige Heimreise vorzubereiten und von diesem wunderbaren Stückchen Erde und seinen herzlichen Menschen zu verabschieden. Wie nicht anders zu erwarten in diesem abwechslungsreichen Land, blieb auch dies aufregend und erlaubte mir zahlreiche weitere Einblicke ins kenianische Leben.

Plattenladen und Vinyl in Kenia Benga-Musik

Für vinylaffine Freunde zuhause wollte ich kenianische Musik besorgen. Ich hatte von einem Plattenladen am Kenyatta-Markt gehört. Ich nahm also ein Boda-Boda und fuhr einmal mehr quer durch Nairobi zum Markt im südwestlichen Stadtteil Kenyatta. Frederick der Boda-Boda-Fahrer ließ es sich nicht nehmen, mich auf den Markt zu begleiten. Der Kenyatta Markt erwies sich als Kenia pur. Bereits auf den Straßen im Umkreis verdichten sich die Marktstände zunehmend zu durchgehenden Galerien von kleinen Holzbaracken, an denen allerlei Waren angeboten werden: Schuhe, Unterwäsche, Haushaltsartikel, Obst und Gemüse, Getränke, Snacks diverse Dienstleistungen und vieles mehr. Der eigentliche Markt ist ein Komplex aus Reihen von überdachten betonierten Ständen, die sich dicht an dicht aneinander drängen. Der weitaus größte Teil sind „Beauty Parlours“ in denen sich Frauen ihre Haare schneiden und – man muss sagen: designen – lassen. So also kommen die Afrikanerinnen zu ihren teilweise spektakulären Zopf- und Flechtfrisuren. Zwischen diesen Ständen, aus denen fröhliches Frauengetratsch und -gelächter dringt, steigt man über abgeschnittene Haare, Haarersatzstücke und diverse Frieseurutensilien hinweg. Weiters gibt es vor allem Stoffhändler, Schneider, Elektrohändler und dazwischen immer wieder Cafés, Restaurants und Nyama-Choma-Stände. In einer Ecke des Marktes reiht sich ein solcher Fleischerladen an den nächsten und inmitten dieser entdeckte ich schließlich Jimmys Vinylshop.

James „Jimmy“ Rugami verkauft dort, seit er 1989 einen defekten Plattenspieler geschenkt bekam und selbst reparierte, Platten aller Art. Er bereist die Welt und sammelt Klassiker und Kleinode ostafrikanischer und internationaler Musik. Jimmy – der sich selbst, wie auch seinen Stand – „The Real Vinyl Guru“ nennt, begrüßte mich freundlich und antwortete auf meine Frage nach kenianischem Reggae, dass es so etwas nicht gäbe, in Kenia höre man Benga. Es folgte eine ausführliche Lehrstunde über kenianische Musik seit dem 2. Weltkrieg, während der er mir eine Single nach der anderen reichte, damit ich sie auf seiner unerwartet hochwertigen Soundanlage, welche das gesamte Zentrum des Stands ausfüllte, anhören konnte. In Kenia gäbe es, so meinte Jimmy, keine Langspielplatten. Sämtliche Benga-Musik wurde auf 7“-Singles gepresst. Die wohl tausenden LPs in seinem Laden, die die Regale neben den Singles füllten, waren internationale Klassiker und Raritäten, die er auf seinen Reisen zusammengesammelt hatte.

So verbrachte ich mehr als zwei Stunden in Jimmys Stand und hörte mich in Benga-Musik ein, während wir uns zu dritt – Jimmy, Frederick und ich – über alles Mögliche unterhielten. Da Jimmys Stand von Nyama-Choma-Ständen umgeben war, und ich mittlerweile Hunger hatte, fragte ich ihn, als ich mich verabschiedete, wo man gutes Nyama-Choma bekäme, und er empfahl mir den Stand gleich nebenan. Ich packte also meine erstandenen Platten und ging mit Frederick einen Stand weiter.

Am Grill lagen einige Stücke Fleisch und ich entschied mich für eine kleine Lammkeule. Während ich auf das Fleisch wartete, konnte ich mir die Hände an einem großen mit Holz befeuerten Boiler waschen. Ich setzte mich an einen der wenigen Tische im Stand und bekam ein reichhaltiges Menü aufgetischt: neben dem klein geschnittenen Fleisch gab es Ugali, polentaartige Schnitten aus Maismehl, Irio, von Blattkohl grün gefärbtes Erdäpfelpüree mit Mais und Bohnen, Sukuma Wiki, gekochten Blattkohl sowie Tomaten mit Zwiebeln. Obgleich das Mahl touristisch überteuert war, sättigte es schließlich sowohl Frederick, der sich anfangs peinlich berührt zierte, mit mir mit zu essen, alsdann jedoch offensichtlich hungrig bereitwillig zulangte, und mich.

Bevor wir den Markt verließen, ging ich noch einmal zu einem Frisör, um mich rasieren zu lassen. Schließlich verließen wir den Markt, und Frederick brachte mich noch ins Westgate-Einkaufszentrum, wo ich einige Lebensmittel als Mitbringsel kaufte. Er begleitete mich auch hier und führte mich anschließend noch zu Palvi, wo wir uns herzlich verabschiedeten.

Mit Palvi ging ich noch einmal in die Kletterhalle und danach fuhren wir zusammen mit ihrer Schwester Sweata, ihrem Kletterfreund Fish und dessen Frau ins Hob House, einem sehr familiären und ausgezeichneten libanesischen Restaurant am Stadtrand von Nairobi. Kelly, eine libanesiche Freundin von Palvi, betreibt dort in einem von einem wunderschönen Garten umgebenen Landhaus,  ein Bed&Breakfast mit Restaurant. Als wir ankamen, spielte im Gartenpavillon ein Jazztrio, dem wir lauschten, während wir auf das Essen warteten. Den Wein hatten wir uns selbst mitgebracht, denn Hob House besitzt keine Alkohollizenz, sodass man sich seinen Alkohol selbst mitbringen darf. Wir verbrachten einen lustigen, ausgiebigen, würdigen letzten Abend, an dem wir beschlossen, uns im Februar, wenn Palvi mit Teilen ihrer Familie nach Österreich Ski fahren kommen wird, wieder zu treffen.

Heute schließlich holte mich Kiparo mit dem Taxi bei Palvi ab, und etwas wehmütig verließ ich mein Feriendomizil der letzten dreieinhalb Wochen. Da genug Zeit war, um rechtzeitig zum Flughafen zu gelangen, entschieden wir uns, Nairobi zu umfahren und über die moderne Ringautobahn chinesischer Bauart zum Flughafen zu gelangen. So geriet die Fahrt zu einer emotionalen Abschiedstour, die mich noch einmal einige der vielen Gesichter Kenias Revue passieren ließ.

Wir verließen Nairobi durch die Villenviertel der Reichen, welche von den lebendigen Vorortvierteln, die ich schon am Weg in den großen Grabenbruch durchfahren hatte, abgelöst wurden. Es ging durch bereits ländliches, agrarisch genutztes Land bis fast zu den bewaldeten Ngong Bergen, welche südwestlich von Nairobi die Hochebene zum Grabenbruch abgrenzen, und deren Rücken seit den 1990er-Jahren der erste kenianische Windpark optisch beherrscht.

Von der Umgehungsautobahn bekam ich erst- und einmalig während meines Aufenthalts einen Slum zu Gesicht. Der war dafür aber nicht unbeeindruckend. Es handelte sich um Kibera, einen der größten Slums in Afrika. Über mehrere Kilometer erstrecken sich entlang der Autobahn dicht gedrängt Wellblechhütten, soweit das Auge reicht. Am Rande davon erheben sich einige wie im ehemaligen Ostblock anmutende Wohnkomplexe, über die mir Kiparo erzählte, dass sie ein versuchtes Umsiedlungsprojekt für das Slum seien, welches daran gescheitert war, dass die Slumbewohner die ihnen zugewiesenen Wohnungen vermieteten und selbst im Slum wohnen blieben.

Als Kibera schließlich wieder in besser situierte Wohnviertel überging, begann auf der anderen Seite der Autobahn der Nairobi Nationalpark. Von der Stadtautobahn war er lediglich durch einen etwa 2 Meter hohen Elektrozaun getrennt. Die nächsten Kilometer konnte ich hinter diesem noch einmal die faszinierende Tierwelt Kenias sehen. Vom Verkehrslärm scheinbar in keinster Weise beeindruckt, grasen dort Antilopen, Gnus und Giraffen. Auf den letzten Kilometern vor dem Flughafen letztlich, standen wir zum Abschied noch einmal im obligatorischen Stau.

Schließlich erreichten wir das äußerst weitläufige Flughafengelände an dessen Einfahrt man sich den nun bereits von mir erwarteten intensiven Sicherheitsvorkehrungen, welche hier überall bestehen, unterziehen muss. Ich dachte an meinen Besuch im Westgate Einkaufszentrum zurück,bei dem ich diese das erste mal mitbekommen hatte, und wie sehr sie mich damals irritierten. Scheinbar gewöhnt man sich recht schnell an gewisse äußere Lebensumstände. Am Parkplatz verabschiedete ich mich herzlich von Kiparo. Auch ihn hatte ich in den letzten dreieinhalb Wochen ins Herz geschlossen.

Nun sitze ich hier in Gate 5 des riesigen Flughafens und kann den Bildschirmen entnehmen, dass von diesem Gate innerhalb der nächsten zehn Stunden 8 Flieger abheben werden. Einer davon wird mich davon tragen.

Während ich warte, mache ich mir noch einige Gedanken zum „Entwicklungsland“ Kenia:

  • In Kenia sind Plasticksackerl verboten. Man bekommt stattdessen Stoff-, oder Papiertaschen.
  • Im öffentlichen Raum herrscht Rauchverbot. Geraucht wird nur in den sehr wenigen, gekennzeichneten Raucherzonen.
  • In Nairobi sieht man nicht nur in relativen sondern auch in absoluten Zahlen weniger Bettler auf der Straße als in Graz.
  • Im Hellsgate Nationalpark betreibt Kenia Afrikas erstes und größtes Geothermiekraftwerk. Es liefert etwa 15 % des gesamten nationalen Strombedarfs.
  • In den Großstädten wird der Großteil der Taxifahrten über internetbasierte Anbieter abgewickelt.
  • In der letzten Dekade hatte Kenia eine jährliche Steigerung des Bruttoinlandsprodukts von durchgehend über 5% zu verzeichnen.

Alles in allem sehe ich Kenia als ein weit vom bei uns verbreiteten Dritte-Welt-Image entferntes Land, in dem eine große Aufbruchsstimmung herrscht, das von unglaublich netten, offenen Menschen bewohnt wird, unbeschreibliche Natureindrücke und zudem eine gute touristische Infrastruktur bietet, absolut eine Reise wert und ein ideales Ziel für Afrikaeinsteiger ist.

Jambo! Hakuna Matata!

Wolli

 

Linksammlung Afrikanisches Tagebuch

Kenianische Nationalmuseen:                    www.museums.or.ke

Äthiopisches Restaurant, Nairobi:            www.abyssiniarestaurantnairobi.com

Indisches Restaurant, Nairobi:                   www.chowpatyrestaurants.com

Kletterhalle, Nairobi:                                     www.blueskykenya.org/climb

Mountain Club of Kenya:                             www.mck.or.ke

Kenianische Nationalparks:                         www.kws.co.ke

Elefantenwaisenhaus:                                   www.sheldrickwildlifetrust.org

Giraffenzuchtstation:                                    www.giraffecentre.org

Sozialprojekt Tonfabrik:                               www.kazuri.com

Safari Lodge, Masai Mara:                           www.ashnilhotels.com/mara

Eisenbahnstrecke Nairobi – Mombasa:   www.metickets.krc.co.ke

Beach Resort und Tauchbasis, Diani:       www.dianimarine.com

Lodge und Strandrestaurant, Diani:         www.dianiblue.co.ke

Höhlenrestaurant, Diani:                             www.alibarbours.com

Schallplattenhändler Nairobi:                    https://thevinylfactory.com/features/the-vinyl-man-of-kenyatta-market/

Libanesisches Restaurant, Nairobi:          www.hobhouse.co

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