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Gott würfelt doch

Die Ansicht, dass Gott nicht würfle, wird Albert Einstein zugeschrieben. Er konnte oder wollte nicht glauben, dass Wahrscheinlichkeit und Zufall entscheidende Faktoren zur Beschreibung physikalischer Grundlagen sind. In Hinblick auf die heutzutage dominante Perspektive der Quantenphysik müsste Einstein wohl zugeben sich geirrt zu haben. Einstein war anscheinend der Meinung, dass sich früher oder später alles erklären, bestimmen und damit kontrollieren ließe. Die heutige Wissenschaft macht auch ohne diesen Anspruch Fortschritte und liefert Ergebnisse.

Wuerfel der Sicherheit

Im Grunde genommen meint diese Würfelgeschichte nichts anderes als die Frage danach, ob sich die Welt mit deterministischen Regeln, also nach Ursache- Wirkung-Prinzip, erschöpfend beschreiben lässt oder nicht. Außerhalb der Physik, im praktischen Verständnis des Alltags, ist diese Frage genauso wichtig. Nimmt man an, dass der Großteil der Menschen nach Lebensglück strebt, so kann in diesem Rahmen gefragt werden, wie viel Sicherheit und wie viel Freiheit notwendig ist, um glücklich zu leben. An den Polen dieser Extreme ist gutes Leben wahrscheinlich nicht möglich. Zu viel Freiheit bedeutet verloren (und eigentlich asozial) zu sein, zu viel Sicherheit bedeutet, sein Leben beständigem Kontrollwahn zu widmen. Und doch dürfte der Großteil der Bevölkerung in den westlichen Gesellschaften der Illusion unterliegen, dass wenn man nur richtig handelte, man mit Sicherheit glücklich und zufrieden werde. Die Auswirkungen dieses Glaubens lassen sich mit zig Zivilisationskrankheiten in Verbindung bringen. Darunter fallen nicht zuletzt psychische Krisen, wie Burn-Out-Syndrom, Alkohol- und Drogenmissbrauch, sowie Realitätsflucht in die unendliche Welt der Romane, Filme, Fernsehserien, Internetseiten oder Computerspiele. Wenn man der Meinung ist, alles wäre kontrollierbar, und das Leben ist dann doch nur so wie es ist, dann muss es wohl an individuellen Schwächen liegen. Und kaum jemand will sich eingestehen, schwach zu sein. Doch ist es Schwäche etwas kontrollieren zu wollen, was nur bedingt kontrollierbar ist?

Max Weber, ein bedeutender Sozialwissenschaftler, verfasste Anfang des 20. Jahrhunderts einen interessanten Vortrag über „Wissenschaft als Beruf“. Für ihn stand fest, dass sich im Denken der Menschen die vor allem aus der Wissenschaft geprägte Idee durchsetzt, alles erklären und beherrschen zu können:

„Die zunehmende Intellektualisierung und Rationalisierung bedeutet also NICHT eine zunehmende allgemeine Kenntnis der Lebensbedingungen, unter denen man steht. Sondern sie bedeutet etwas anderes: das Wissen davon oder den Glauben daran: dass man, wenn man NUR WOLLTE, es jederzeit erfahren KÖNNTE, dass es also prinzipiell keine geheimnisvollen unberechenbaren Mächte gebe, die da hineinspielen, dass man vielmehr alle Dinge – im Prinzip – durch BERECHNEN BEHERRSCHEN könne. Das aber bedeutet: die Entzauberung der Welt. Nicht  mehr, wie der Wilde, für den es solche Mächte gab, muss man zu magischen Mitteln greifen, um die Geister zu beherrschen oder zu erbitten.“ (Weber 1919, pdf)

Wenn die Welt für uns Menschen entzaubert ist, wie dies auch Max Weber ausführt, hoffen wir nicht auf Glück, einen günstigen Schicksalswink, warten geduldig etwas ab, oder verlassen uns darauf, dass „eigentlich eh alles gut wird“. Wir setzen die notwendigen Schritte um weiterzukommen – und das oft ohne zu wissen, wohin wir letztendlich wollen. So lange, bis wir krank werden oder die Realitätsflucht in unserem Alltag verankert ist. Vielleicht ist es also gut, zu akzeptieren, dass unser Leben nur bedingt kontrollierbar ist. Wir sind vernunftbegabte Wesen und können und sollten nach gewissen Regeln und Mustern leben, die uns Halt geben und uns helfen wohlüberlegte Ziele zu erreichen.

Wenn aber sogar die moderne Atomphysik Fortschritte erzielt, indem sie akzeptiert, dass Zufälle dazugehören und Wahrscheinlichkeit als Maß der Dinge einstweilen genügt, so kann auch der einfache Mensch etwas daraus lernen: Wenn das Ziel ist glücklich zu sein, muss nicht alles kontrollierbar sein!

Außerdem sind die Wege des Herrn unergründlich – und hin und wieder zu würfeln macht auch Spass!

 

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