Als Kind hatte ich manchmal das Gefühl, ICH würde im Inneren meines Körpers sitzen und zusehen können, was mein Körper den ganzen Tag über so macht. Je nach Belieben konnte ich mich in dieser Verfassung dafür entscheiden, entweder einzugreifen und meinen Körper absichtlich steuern, oder ihm bzw. mir einfach zuzusehen.
Es scheint naheliegend auf diese Idee zu kommen, denn wohl jeder kennt die Situation, einerseits manuelle Tätigkeiten zu verrichten, während andererseits, im Geiste, ein anderer Film läuft. So ranken auch in der Geschichte der Philosophie einige Theorien darüber, wie das möglich ist. In den philosophischen „Homunkulustheorien“ wird die Vorstellung diskutiert, dass sich in unserem Inneren ein zusätzlicher Geist oder ein Wesen verbirgt, welches quasi wie in einer Theatervorführung erlebt, was wir sensorisch wahrnehmen. Diese Theorien sind natürlich durchaus strittig und stellen eher Metaphern für bewusstes Wahrnehmen dar, als dass sie wirklich annehmen, ein Menschlein sitze in unserem Kopf.
Die Bezeichnung Homunkulus (lat. „Menschlein) bezeichnet eigentlich einen künstlich geschaffenen Menschen und wurde spätestens durch die Schriften mittelalterlicher Alchemisten in weiterem Rahmen bekannt. Auch Paracelsus, einer der wichtigsten Vordenker der modernen Medizin, war anscheinend davon überzeugt, dass die Herstellung eines Menschen durch chemische Prozesse möglich sei. Im auf das Jahr 1538 datierten Werk „de natura rerum“ beschreibt er die Prozedur zur Herstellung eines Homunkulus als alchemistisches Geheimnis, welches wohl behütet werden sollte:
Man lasse den Samen eines Mannes in einem versiegelten Kolben mit venter equinus (Pferdemist) höchster Fäulnis verwesen – für vierzig Tage, oder auch weniger, bis es letztendlich lebt, sich bewegt, und empfindsam ist, was leicht erkennbar sein wird. Nach dieser Zeit ist es in gewisser Weise wie ein menschliches Wesen, jedoch und nichtsdestotrotz, durchsichtig und ohne Körper. Wenn es nun, nach diesem Zustande, täglich gehegt und vorsichtig sowie gewissenhaft mit der arkanischen Essenz menschlichen Blutes gefüttert wird, und für vierzig Wochen ununterbrochen bei gleichbleibender Wärme in venter equinus gehalten wird, wächst es als wahres und lebendes Kinde, mit allen Gliedmaßen eines Kindes, das von einer Frau geboren wurde, doch sehr viel kleiner. Dies nennen wir einen Homunkulus; es sollte fortan mit höchster Sorgfalt und Eifer erzogen werden, bis es aufwächst und Zeichen von Intelligenz zeigt.
(Auszug aus „de natura rerum“; Freie Übersetzung einer englischen Version)
Aus den Sozialwissenschaften weiß ich heute, dass ein Großteil unserer Handlungen habitualisiert, also unbewusst vollzogen wird, was am einfachsten dadurch erklärbar ist, dass es für ein derart komplexes Wesen wie den Menschen einfach unmöglich wäre, die meisten Vorgänge bewusst handzuhaben. Unser Leben ohne diese Fähigkeit zum Automaten zu bestreiten wäre schlichtweg unmöglich. Und ein derartiger „Mechanismus“ kann auch dazu führen, sich in manchen, sehr routinemäßigen Situationen, selbst beim Handeln beobachten zu können.
Bis heute ist mir noch nichts über eine erfolgreiche Herstellung eines Homunkulus nach Paracelsus‘ Rezept zu Ohren gekommen, und die Idee, venter equinus als chemischen Grundwerkstoff einzusetzen, scheint sich in der Wissenschaft auch nicht durchgesetzt zu haben. Schade eigentlich – vielleicht funktioniert’s ja als Haarwuchsmittel…