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Zur Form der Erde

Ich kann mich erinnern, dass uns in der Pflichtschulzeit  vermittelt wurde, dass die Menschen über die Zeit hinweg ihr Bild über die Form der Erde beständig anpassten: Von der bis zum Mittelalter vertretenen Vorstellung einer Scheibe, über die Kugel, hin zum so genannten Geoiden, einem Ellipsoiden, dessen Querdurchmesser den Längsdurchmesser bei weitem übertrifft. Dieses Wissen begleitete mich mein ganzes Leben, bis die ESA vor ein paar Jahren eine Visualisierung der bisweilen genauesten Vermessung der Erdoberfläche präsentierte, die mich erstaunte und mich wieder daran erinnerte, dass die Dinge oft nicht so sind, wie wir glauben zu wissen.

Darstellung der Erdform, (c) ESA/HPF/DLR (Informational use free)

Die Darstellung der Erde aus dem GOCE-Projekt der ESA erinnert an eine krumme Kartoffel in Kugelform. Ich fragte mich also, ob die Erde nun eine Kugel oder ein Ellipsoid ist. Ergebnis der Recherche: Die Erde ist zwar eher ein Ellipsoid, doch der Unterschied zwischen Äquatorial- und Polradius beträgt gerade einmal 21 Kilometer. Diese Differenz zwischen 6378 und 6357 Kilometer ist nicht besonders beeindruckend. Ich werde mir die Erde also in Zukunft als Kugel vorstellen.

Der Grund dafür, dass uns alle möglichen Erddarstellungen und Weltkarten einen ausgeprägteren Ellipsoiden vorgaukeln, liegt darin, dass diese nicht zur Darstellung der Form der Erde dienen, sondern sich auf Referenzsysteme für die möglichste genaue Angabe geographischer Koordinaten beziehen. Diese Referenzellipsoide sind Modelle einer Erde mit einer annähernd  gleich hohen Fläche und bieten, je nach Anwendungszweck, eine unterschiedliche Genauigkeit für Vermessungen und Koordinatenangaben. Dementsprechend wird beispielsweise für Vermessungen in Europa ein anderer Referenzellipsoid verwendet als in Amerika oder Asien. Conclusio: Die ausgeprägt dargestellte Erdellipse dient also besserer Flächen- und Winkelgenauigkeit. (Dass sich auch politische Motive hinter der Darstellung verbergen ist eine andere Geschichte.)

So weit, so gut. Eine weitere Sache, über die ich gestolpert bin, betrifft Historisches. Ich war der Annahme, dass die Menschen bis ins Mittelalter die Vorstellung hatten, die Welt wäre eine Scheibe, und auch noch teilweise zu Kolumbus‘ Zeiten fürchteten, man könnte vom Rand fallen. Jüngere historische Untersuchungen zeigen jedoch, dass seit dem dritten Jahrhundert v. Chr. nahezu keine gebildete Person der westlichen Geschichte die Vorstellung einer flachen Welt teilte. Der Mythos über die mittelalterliche Menschheit, die an eine Welt in Scheibenform glaubte, dürfte den Angaben zufolge wohl erst durch die Geschichte(n) im 19. Jahrhundert entstanden sein.

Diese kleine Untersuchung mahnt mich wieder einmal zur Vorsicht im Umgang mit wissenschaftlichem Wissen. Vor allem, wenn man nicht die Mittel hat, Dinge selbst zu erleben oder zu erfahren, neigt man dazu, Fakten aus glaubwürdigen Quellen als Wahrheit hinzunehmen. So ist das mit den „Geschichten“ der Geschichte und den „Fakten“ der Naturwissenschaften: Auch die besten Modelle einer Sache sind niemals die Sache selbst bzw. auch das getreuste Abbild der Wirklichkeit ist niemals die Wirklichkeit selbst.

Eurozentrierte Weltkarte, (CIA, public domain)

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