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Railroad Tycoon

Vor der Zivilisation kam die Eisenbahn. Zumindest bei Spieleentwickler-Legende Sid Meier. Bevor dieser nämlich die bis heute fortgesetzte und extrem beliebte Civilization-Reihe auf die Menschheit losließ, veröffentlichte er 1990 den wahrgewordenen Traum aller computeraffinen Modelleisenbahnfreunde, das Spiel, das mich als Jugendlichen vermutlich länger an den PC gefesselt hat als jedes andere: Railroad Tycoon.

Zug fährt ab – der Startbildschirm

Railroad Tycoon ist ein Strategiespiel, bei dem es darum geht, in verschiedenen Regionen (Europa, Großbritannien, Ost- und Westküste der USA) ein Eisenbahnimperium aufzubauen. Je nach Szenario beginnt das Spiel zu einer anderen Zeit, von 1828 (England) bis 1900 (Europa). Eine Partie läuft dann immer über 100 Jahre, in denen man munter Gleise, Bahnhöfe, Brücken und Signale in die Landschaft setzt, Lokomotiven kauft, Züge und Zugläufe zusammenstellt und Personen, Post und Wirtschaftsgüter befördert. Die Tätigkeit des Spielers wirkt sich dabei auf die Spielwelt aus – ans Schienennetz angeschlossene und gut versorgte Städte oder Rohstoffquellen wie Minen und Farmen boomen und wachsen, während andere stagnieren oder gar verschwinden. Allerdings verändert sich die Spielwelt auch unabhängig vom Eingreifen des Spielers, sodass es sich stets lohnt, die Karte im Auge zu behalten. Außerdem bestimmt der Zufall beim Spielstart die Größe der Ortschaften und die Lage der Rohstoffquellen und Wirtschaftsbetriebe stets neu, sodass keine Partie der anderen gleicht. Technischen Fortschritt gibt es ebenfalls, sodass im Spielverlauf neue, leistungsfähigere Lokomotiven dazukommen und die alten Schnauferln ablösen – wenn man es sich leisten kann, sie auszutauschen.

Die Dynamik macht einen großen Teil des Spielspaßes bei Railroad Tycoon aus. Man freut sich einfach wie ein Schneekönig, wenn das eigene Schienennetz wächst oder endlich die neue starke Lok erfunden wird, die den bisherigen Streckenrekord pulverisiert. Außerdem ist immer irgendwas los, auf das man reagieren kann. Von der immensen Genugtuung, einen ganzen Kontinent mit der Eisenbahn zu erschließen und Streckennetz und Zugläufe immer weiter zu optimieren, ganz zu schweigen. Viele lange Schultage verbrachte ich 1990/91 damit, mir neue Routen für meine Züge auszudenken, und kaum war ich zu Hause, flogen die Schulsachen verlässlich in die Ecke, ich setzte mich an den PC, startete Railroad Tycoon und dann war stundenlang alles andere erst mal vergessen.

Die virtuelle Modelleisenbahn

Ich war schlichtweg im siebten Himmel. Ich liebte meine Märklin-Eisenbahn, aber der Platz in der Wohnung war begrenzt und die Mutter meckerte verlässlich, wenn die aufgebaute Anlage ihr das Saubermachen in meinem Zimmer erschwerte. Aber hier hatte ich jetzt den vollen Märklin-Charme – denn die Züge schnauften im charmanten Modelleisenbahn-Look auf der Karte vor sich hin, wie man es von Märklin und Co. kennt und die Dampflokomotiven stießen sogar kleine Rauchwölkchen aus – und dazu noch ganze Kontinente Platz, um meine Eisenbahn auf- und auszubauen. Und niemand beschwerte sich, dass der Boden im Kinderzimmer verstaubte.

Sid Meier wollte ursprünglich einen Modelleisenbahn-Simulator programmieren und das ist ihm perfekt gelungen. Relativ spät in der Entwicklung des Spiels kamen dann noch Computergegner und ein recht komplexes Wirtschaftssystem hinzu, um das Ganze auf Dauer fordernder zu machen. Heute weiß ich das zu schätzen, aber damals habe ich den ganzen Zirkus mit Aktienkursen, Anleihen und Zinssätzen nicht wirklich durchblickt (okay, so viel hat sich da eigentlich bis heute nicht geändert).

Noch grinst er, der Tycoon…

Aber das war das Geniale an Meiers Meisterwerk: Der Schwierigkeitsgrad war so fein einstellbar, dass man es als virtuelle Modelleisenbahn ebenso spielen konnte wie als knallharten kapitalistischen Konkurrenzkampf. Dass man sich unschuldig wie ein kleines Kind an den herumfahrenden Zügen erfreuen oder skrupellos wie Gordon Gecko an der Börse zocken konnte. Das Spielprinzip ist unverwüstlich und fesselt mich auch heute noch stundenlang vor den Monitor.

…doch die Karriere endet schmählich

Railroad Tycoon war ein Riesenhit und es gab ein paar Fortsetzungen, aber leider gelang es meiner Meinung nach keiner davon, den ganz speziellen Zauber des Originals von 1990 einzufangen, weshalb das Spiel auch nach fast 30 Jahren für mich noch wie ein Leuchtturm aus der Masse der Computerspiele herausragt. Allerdings gibt es eine Brettspielumsetzung unter dem Namen „Railroad Tycoon – The Board Game“ bzw. „Railways of the World“, die sich zwar auf den wirtschaftlichen Aspekt konzentriert, aber sich im Freundeskreis dennoch als ein dem Computerspiel mindestens ebenbürtiger Zeitfresser entpuppt hat. Leider ist auch das nicht immer allzu leicht zu bekommen, dafür gibt es aber auf der digitalen Brettspieleplattform Tabletopia eine Computerumsetzung des Brettspiels (!), die gratis über die Plattform Steam gezockt werden kann. In was für herrlich verrückten Zeiten wir doch leben!

Und so sieht das digitale Brettspiel aus

Ach, es gäbe noch so viel mehr über dieses wunderbare Spiel zu erzählen, aber bevor mein Text noch länger wird als ein amerikanischer Güterzug, mache ich hier mal Endstation. Danke, dass ihr mit Trift gefahren seid, einen schönen Tag noch und bis zur nächsten Fahrt!

Wer mehr über dieses wunderbare Spiel erfahren möchte, wird unter anderem hier fündig:

  • Zeitgenössische Testberichte auf kultboy.com
  • Eine ausführliche Besprechung von Railroad Tycoon im Podcast Stay Forever
  • Gespräch mit Designer Sid Meier u. a. über die Entstehungsgeschichte von Railroad Tycoon
  • Und die dezent verschlimmbesserte, aber immer noch sehr spielenswerte Deluxe-Version von Railroad Tycoon kann mittlerweile legal als Freeware heruntergeladen werden

Alle Bilder von Mobygames (http://www.mobygames.com/game/sid-meiers-railroad-tycoon)

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