Mittlerweile ist es medial relativ still geworden um den Prozess der Geschlechtergleichstellung, und es könnte durchaus der Eindruck entstehen, es existierten keine Blockaden mehr für eine geschlechterunabhängige Entfaltung im gesellschaftlichen Leben. Sieht man sich jedoch die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen in vergleichbaren Berufen an, oder die geringe Anzahl der Frauen, die als Spitzenpolitikerinnen oder weiblichen Führungskräfte in Großbetrieben tätig sind, kann durchaus noch Handlungsbedarf attestiert werden. Zudem ist immer noch allzuhäufig zu hören: „Das ist halt typisch Mann/Frau…“.
Andererseits wurde auch schon viel erreicht. Das wurde mir klar, als ich vor kurzem über ein Schulbuch für den polytechnischen Lehrgang aus dem Jahr 1966 gestolpert bin. Den Schülerinnen und Schüler von damals wurde in einem eigenen Kapitel nahegelegt, dass Frauen eigentlich nur für Versorgungsdienste taugen und vermutlich nur als Mutter, Hausfrau oder Pflegerin ihre Bestimmung finden könnten.
So heißt es in dem schönen Lehrbuch „Schaffensfreude – Lebensfreude“, dass es besonders für „das Mächen“ schwierig ist eine Berufswahl zu treffen. „Es soll zwar einen Beruf ergreifen, aber es möchte auch gerne heiraten.“ Studieren sollte eine Frau sowieso nur, wenn es sich um eine „wahre innere Berufung“ handelt. Ansonsten „ist es besser, wenn das Mädchen nicht studiert.“ Denn Versorgungsleistungen für die Familie sind wichtiger und sowieso einträglicher. Denn „Was eine Frau in einem Berufe außerhalb des Hauses verdient, geht ihr oft am Haushalt verloren.“
Die Jugendlichen von damals sind heute wohl um die 65 Jahre alt. Ich finde dafür, dass sie mit derartiger, staatlich gestützter Geschlechterdiskriminierung konfrontiert waren, wirken viele Menschen in diesem Alter ziemlich liberal. Und auch den radikalen Feminismus der 1970er-Jahre kann ich nun ein wenig besser nachvollziehen…