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Wolli im Wunderland. Tagebuch einer Indienreise #14

Teil 14: Reise nach Goa

 

21.09.2000 Mangalore
Nachdem Hans bei der Rückkehr von unserer Dschungelwanderung gestern Abend Ranesh, den Hotelbesitzer des Hotel Paris, in dem wir in Ullal Beach weilen, noch abschmettern konnte, müssen wir ihm heute zum Frühstück dann doch ausführlich von unserer Abenteuertour erzählen. Ranesh will genau wissen, wie es uns ergangen ist und nachdem er die gesamte Geschichte gehört hat, sind wir für ihn nur mehr seine „crazy Austrian friends“. Er zerkugelt sich richtiggehend über unsere Erlebnisse und wie blauäugig wir einfach drauf los gegangen sind.

Als wir ihn nach dem Vorkommen von Kobras in den Westghats fragen, meint er seelenruhig: „Yes there are cobras – king cobras, the biggest poisonous snake in the world. But don’t you worry about the cobra, it’s very shy, you won’t see it. But good you did not meet with the Indian Giant Scorpion. You do not want to meet that.“ „Why?“, frage ich, „does it kill you?“ „No, it won’t kill you but is really huge like this.“, sagt Ranesh und zeigt eine gestreckte Fingerspanne mit Daumen und Zeigefinger. „And it really hurts horribly, when it bites you.“ „Aha!“, denke ich mir und beschließe, lieber nicht zu fragen, wem die leuchtenden Augen gehört haben könnten, die wir nachts im Wald gesehen hatten.

Hans und ich haben beschlossen, nach all den Abenteuern der letzten Tage nun endlich wirklich an einen Strand zu fahren, der diesen Namen verdient. Und den möchten wir in Goa finden, das im Norden an Karnatakas Küste grenzt. Wir fragen also Ranesh, wie wir am besten dort hin kommen. Er meint, von Mangalore aus gehen regelmäßig Busse nach Panaji, der Hauptstadt Goas. Von dort kämen wir leicht an die nahen Strände.

Hans und ich packen unsere Rucksäcke und als wir uns von Ranesh verabschieden möchten, sitzt dieser wieder hinter seinem großen Schreibtisch an der Rezeption und liest, wie zumeist in den letzten Tagen, wenn wir ihn zu Gesicht bekommen haben, im Schein der alten, grünen Schreibtischlampe. Als Tischplatte dient eine große Glasplatte auf dem Schreibtisch, unter der Banknoten aus aller Welt ausgebreitet liegen.

„My dear friends“, richtet Ranesh das Wort an uns, „ now that you leave my small place, which I hope you liked, may I ask you a favour? Do you have a bill of your Austrian currency which you could give me for my collection?“ Er deutet auf die Banknoten vor sich auf der Tischplatte. „Everyone who comes here leaves a bill so that Hotel Paris can remember every guest. I have bills here from all over the world. This one is from Thailand, this New Zealand, here I have the USA and next to it Canada. I really like this one which comes from Swaziland and that one from Bhutan is really beautiful, don’t you think?“ Andächtig zeigt er dabei mit seinem Finger über die Banknoten. Ich krame einen 20-Schilling-Schein aus meiner Geldtasche und reiche ihn Ranesh. Noch ehe ich ihn ihm geben kann, fragt er: „What is the currency in Austria called?“

„It’s called Schilling“, antworte ich ihm, „and this is a 20-Schilling-bill. But in 2002 Austria will exchange it for the Euro, the new currency of the European Union.“

„Oh, what a lucky guy I am!“, freut sich Ranesh. „So probably the next Austrian coming here will already give me a Euronote. Who’s that guy on it?“

Ich werfe einen Blick auf die Banknote und stelle fest, dass ich keine Ahnung habe, wer Moritz M. Daffinger ist. Auch Hans weiß es nicht. „Sorry, I have no idea who that man may be“, gestehe ich, „but this is Albertina, a famous museum of arts in Vienna“, stehle ich mich aus der Affäre, nachdem ich den Geldschein umgedreht habe.“ Ranesh betrachtet ihn eingehend und fragt, wie viel er wert sei. Ich sage ihm, dass es in etwa 70 Rupien seien. „So thank you very much my friends!“, bedankt sich Ranesh theatralisch. Er erhebt sich, kommt hinter dem Schreibtisch hervor und umarmt mich und Hans zum Abschied. Er wünscht uns eine gute Reise und erfolgreiche Zukunft und gleich darauf treten wir ins gleißende Sonnenlicht vor dem Hotel Paris. Ein wenig Wehmut erfüllt mich, als ich noch einmal zum großen, verwitterten Schriftzug „Hotel Paris“ über dem Eingang empor blicke.

Rickschastand (via hindustantimes.com)

Doch auf der anderen Straßenseite warten bereits zig Rikscha- und Taxifahrer, die uns alle gleichzeitig wohin auch immer führen wollen, sobald sie uns aus dem Hotel Paris auf die Straße treten sehen. So bleibt nicht viel Zeit für Wehmut, denn wir haben die Mitte der Straße noch nicht erreicht, als wir uns von einer Traube aufdringlicher Anbieter von Fahrdiensten, die uns alle laut anschnattern, verschluckt sehen. Unzählige Stimmen reden auf uns ein, Hände fuchteln um uns herum und von allen Seiten werden wir gedrängt und geschubst. Nach den intensiven indischen Eindrücken der letzten Tage ist das alles ein bisschen viel und als jemand nach meinem Tramperrucksack greift und mich dadurch fast umreißt, entfährt mir ein lautes: „Keep your fucking hands off my luggage!!!“, das ich hilflos an die gesamte Menschentraube richte, während ich mich einmal im Kreis drehe. Dabei erkenne ich, dass sich auch Hans gerade bedrohlich vor einem Inder, der ihm gerade einmal bis zur Brust reicht, aufbaut und ihm irgend etwas ins Gesicht schreit. Unsere Lautstärke die alle anderen Stimmen deutlich übertönt hat, lässt die Menschenmenge etwas zurückweichen, sodass Hans und ich unsere Marschrichtung intuitiv von Taxistand gegenüber auf Ortsausfahrt zu unserer Rechten ändern können. Langsam lassen die wild gewordenen Chauffeure von uns ab, nur einige hartnäckige versuchen nach wie vor ihr Glück und möchten uns partout irgendwo hin führen. Durch energische und nicht immer der feinen englischen Art entsprechende Abweisungen ihrer Offerte werden wir schließlich auch sie los und spazieren kurz darauf ohne Verfolger aus Ullal Beach heraus in Richtung Hauptstraße nach Mangalore. Nach wenigen Metern versucht noch einer sein Glück, indem er seine Rikscha neben uns auf Schritttempo verlangsamt, uns angrinst und freudestrahlend verkündet: „I brring yu tu Mangalore – verry cheap!“ Hans und ich sehen uns zuerst gegenseitig und dann mit bösem Blick den kleinen, schmächtigen Mann an und schreien ihn synchron an: „Noooo!!!“ Den Bruchteil  einer Sekunde scheint der Schnauzer unter den schwarzen Kulleraugen zusammen zu zucken, doch sofort grinst das Männlein wieder, beschleunigt und fährt weiter.

An der Kreuzung zur Hauptstraße gelingt es uns tatsächlich, von einem sympathischen Rikschafahrer zu einem realistischen Preis nach Mangalore gebracht zu werden. Die Fahrt verläuft schweigend, denn Hans und ich genießen ein paar Minuten Ruhe bevor wir uns wieder ins Menschengewirr des Busbahnhofs von Mangalore werfen.

Im chaotischen, unübersichtlichen Busterminal finden wir nach einigem Suchen einen Bussteig von dem Busse nach Panaji abfahren. Ein Bus wird gerade beladen. Wir fragen den davor stehenden Schaffner, als er gerade kurz kein Gepäckstück zum Verladen in der Hand hat, um eine Fahrkarte. „No, full!“, ist seine kurz angebundene Antwort und schon greift er nach dem nächsten großen, groben, zugenähten Sack, der neben ihm bereit steht, und wuchtet ihn zu seinem am Busdach werkelnden Kollegen hoch. Wann der nächste Bus geht, wollen wir wissen. „Laterr! Thrree orr fourr hourrs!“, antwortet er nicht unfreundlich, aber ohne von der Arbeit aufzublicken. Die Aussicht, noch mehrere Stunden hier warten zu müssen, bis wir endlich an einen Strand fahren können, stimmt mich nicht gerade euphorisch. Hans und ich beschließen, das zu tun, was sich in ähnlichen Situationen bisher stets als kein Fehler erwiesen hat: einen Chai zu trinken. Wir suchen uns einen Teestand, schlürfen das heiße, picksüße Getränke und klagen dem Chaiwallah unser Leid. „Overr therre, buy ticket!“, lässt er kurz Hoffnung in uns aufkeimen und deutet in den hinteren Bereich des Terminals, wo sich im Halbdunkel tatsächlich Fahrkartenschalter zu befinden scheinen. „But today is Frriday, many people go to Goa forr the weekend!“, zerstreut er das zarte Pflänzchen auch gleich wieder. Trotzdem bedanken wir uns höflich und gehen, wohin er uns den Weg gewiesen hat.

Mangalore Bus Stand (via justdial.com)

Tatsächlich befinden sich dort die Ticketschalter aller Busfirmen, die hier abfahren. In einem nach dem anderen probieren wir unser Glück, erhalten aber überall dieselbe Antwort. Alle Busse, die heute noch nach Goa abfahren, sind ausgebucht. Unsere Hoffnung schwindet im gleichen Maße, in dem unsere Rucksäcke uns schwerer erscheinen. Plötzlich ruft uns jemand von hinten zu: „Hey guys! Wait!“ Wir drehen uns um und blicken ins breit grinsende Gesicht eines kleinen, runden, geschniegelten Inders mit großen Schweißflecken unter den Achseln auf seinem weißen Hemd, der uns wenige Minuten zuvor erklärt hatte, uns für heute unmöglich noch eine Fahrkarte nach Goa verkaufen zu können. „I can sell yu a ticket. Come with me!“, fordert er uns auf, was wir uns nicht zweimal sagen lassen. Wir folgen ihm zu seinem Schalter und er verkauft uns 2 Fahrkarten für 500.- Rupien. Abfahrt heute Abend 20 Uhr. Welch eine Erleichterung, wir kommen endlich an den Strand! Der Mann klärt uns noch auf: „Sleeperr coach, verry comforrtable!“, und bietet uns an, unser Gepäck bei ihm am Schalter zu lassen, bis der Bus abfährt. Erleichtert nehmen wir auch dieses Angebot an.

Ziemlich geschlaucht von so viel Indien in den letzten Tagen, beschließen Hans und ich, nur in einem nahe gelegenen Restaurant unseren Hunger zu stillen und auf die Abfahrt des Busses zu warten. Wir finden ein kleines, ruhiges „Pure Veg. Restaurant“ in dem es nur vegetarisches Essen gibt in einer Seitengasse und bekommen dort ein köstliches Thali. Den Rest des Tages trinken wir dort Chai, denn auch Alkohol wird in einem „Veg. Restaurant“ nicht ausgeschenkt, und spielen Karten, durchgehend neugierig beäugt von der indischen Menge ringsum. Ich komme mir vor, wie ein Tier im Zoo, bin aber zu groggy, um irgendwie darauf zu reagieren. Ich warte nur mehr auf den „Sleeper Coach“, der uns ans Meer bringen wird.

Am Weg zum Busbahnhof zurück, decken wir uns noch mit Reiseproviant ein – Bananen, Keks, Samosas und eine riesige knallorange Mango, die verführerisch duftet. Wir holen unsere Rucksäcke vom Schalter, wo uns der verschwitzte Inder mit seinen verfaulten, braun-orange leuchtenden Zähnen euphorisch eine gute Fahrt wünscht. Kurz darauf sind unsere Rucksäcke auf dem Dach des Busses verstaut und wir fahren Richtung Meer. Dass offensichtlich zwei Fahrgäste im Mittelgang stehen müssen und die Frage, ob dies etwas mit unseren unerwartet doch noch erlangten Tickets zu tun hat, lässt mich kalt. Ich will nur endlich ans Meer und morgen wird es soweit sein.

Glossar:

 


Ich heiße Wolfram, aber meine Freunde nennen mich Wolli. Im Jahr 2000 reiste ich das erste Mal nach Indien. Mein treuer Reisepartner war mein bester Freund Hans. Gemeinsam entflohen wir einer tiefgreifenden Existenzkrise, die uns damals in Österreich erfasst hatte. Es war meine erste große Auslandsreise, die mich über die Grenzen Europas hinaus brachte. Als solche war der Trip für mich eine unglaubliche Horizonterweiterung und Bereicherung, der eine bis heute andauernde Liebe zu diesem Land, in dem es nichts gibt, was es nicht gibt, entfachte. Hiermit möchte ich Euch, werte LeserInnen, in Form meines Tagebuches an dieser spannenden und ereignisreichen Reise teilhaben lassen.

 

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