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Wolli im Wunderland. Tagebuch einer Indienreise #16

Teil 16: Das Hippiehaus

25.11.2000 Calangute
Die letzten zwei Tage sind Hans und ich einfach am Strand gelegen und haben diesen eigentlich nur verlassen, um essen, baden oder schlafen zu gehen. Hier ist es wirklich paradiesisch. Zahlreiche herrliche Restaurants und Unterkünfte säumen den Strand. Allesamt bestehen aus simplen aus  Bambus und Palmblättern gebauten Hütten. Da noch Vorsaison ist, werden einige davon auch erst aufgebaut und es ist unterhaltsam dabei zuzusehen, wie sie mit nichts als menschlicher Arbeitskraft mit einfachsten Mitteln aufgestellt werden. An Arbeitskräften mangelt es jedenfalls nicht. Mit der gleichen Anzahl an Arbeitern würden bei uns wohl ganze Wohnsilos gebaut werden.

Weil es aber so viel zu entdecken gibt, beschließe ich, heute eine Erkundungstour zu machen. Hans bleibt hingegen lieber noch einmal am Strand. Also mache ich mich alleine zu Fuß auf den Weg. Ich packe mein Tagespaket bestehend aus Badehose, Badetuch, einem Buch, Rauchware und ein bisschen Geld – mehr werde ich nicht brauchen – zusammen und spaziere den Strand entlang Richtung Norden. Es geht immer gleich dahin: breiter, gelber Sandstrand, dahinter Palmrestaurants und -bungalows, in der zweiten Reihe dann feste, weißgetünchte, flache Häuser inmitten bunte Gärten, dazwischen mächtige Palmen. Touristen sind noch recht wenige am Strand, mit den für deren geringe Anzahl viel zu vielen Strandverkäufern kann ich mittlerweile ganz gut umgehen. Irgendwie scheinen sie sich auch noch im relativ entspannten Vorsaisonmodus zu befinden und sind selten wirklich aufdringlich.

Oh, jetzt bin ich vom im Sand laufen in der prallen Sonne bereits richtig verschwitzt. Also schnell ein Bad nehmen. Badehose an, Badetuch ausgebreitet und ab in die Fluten. Herrlich! Da kommt ein Standverkäufer mit Kokosnüssen. Nach dem Bad tut so eine erfrischende Kokosnuss gut, also schnell verhandelt und schon hackt mir der kleine Mann mit schwarzer Lockenmähne und einem auffallenden Goldzahn die Nuss auf, steckt einen Strohhalm hinein und überreicht sie mir. Ahhh, wunderbar! Danach eine Gold Flake geraucht und zwei Hunden zugesehen, die am Strand mit den Wellen spielen. Weiter geht’s!

So spaziere ich dahin, bis ich irgendwann zu einem kleinen Fluss komme, welcher sich träge ins Meer ergießt. Er riecht etwas streng und seine Ufer sind voll mit Müll. In der Mündung steht ein Inder mit nacktem Oberkörper und hochgezogenem Dhoti bis zu den Knien im Wasser und wirft gekonnt ein Fischernetz aus. Scheinbar ist der Wasserlauf nicht tief, doch aufgrund seines Geruchs und seines Aussehens möchte ich nicht durchwaten. Ich gehe einfach seinem Ufer entlang und sehe wohin es mich führt. Es ist gesäumt von vielen einfachst gebauten, bunt bemalten, hölzernen Fischerbooten.

Nach wenigen hundert Metern komme ich zu einer asphaltierten Straße, die den Fluss mittels einer kleinen Brücke überquert. Das Brückengeländer war wohl einmal gelb lackiert, ist nun aber hauptsächlich rostig und fehlt auf einer Seite auf einer Länge von einigen Metern gänzich. Ich spaziere über die Brücke und wende mich auf einer Erdstraße wieder dem Meer zu. Nach einigen Metern werden die Häuser von einem lichten Wäldchen abgelöst. Das Flussufer wird steiler und die Straße führt nun nur mehr als Trampelpfad über felsige Klippen zurück zum Meer. Die Wellen brechen gegen die Felsen und der Wind sprüht mir die salzige Gischt ins Gesicht. Nach wenigen Minuten erreiche ich einen kleinen Sandstrand, an dem absolut nichts ist: keine Hütten, keine Menschen, keine Kühe, keine Hunde – einfach nur ein Streifen Sand ganz für mich alleine. Ist ja irre!

Das Hippiehaus

Natürlich gehe ich sofort baden und mache es mir anschließend mit meinem Buch im Sand bequem. Ich lese eine Zeit lang, bis sich Hunger bemerkbar macht. Nicht einmal ein Strandverkäufer hat mich hier bisher behelligt. Vom Fund dieses kleinen Paradieses motiviert, gehe ich den Strand Richtung Norden weiter. Die Küste wird wieder steiler und abermals geht es – diesmal weglos – über felsige Klippen. Als ich um einen großen Felsbrocken biege, sehe ich vor mir hinter dem hier wieder beginnenden Sandstrand von Gestrüpp umwachsen plötzlich ein – ja was ist es eigentlich? Eine Höhle? Ein Haus? Ich trete näher und erkenne ein in die Uferböschung gebautes Gebäude. Es ist bunt bemalt und Dach und Wände sind mit Steinen und Muscheln ausgestaltet.

Nie zuvor habe ich ein derartiges Haus gesehen. Ich nähere mich, und da kein Zaun es umgibt, stehe ich sogleich unmittelbar davor. Der umliegende Garten ist in Terrassen angelegt und verwildert. Das Haus hat keine eingesetzten Fenster oder Türen und scheint unbewohnt. Also trete ich ein. Es ist aus Beton gebaut, wie der Garten terrassenförmig angelegt und hat lauter gewundene, farbenfroh bemalte Wände. Wer mag es gebaut haben? Welche Geschichten hat es zu erzählen? Warum ist dieses Kleinod unbenutzt? Ich erforsche das Haus und bin fasziniert. Es scheint wie aus einer anderen Welt. Ich setze mich auf die Terrasse, rauche einen Joint und hänge meinen Gedanken nach, bis sich wieder der Hunger bemerkbar macht.

Das Hippiehaus innen

Also gehe ich den Strand ein Stück entlang auf der Suche nach Essbarem. Bereits nach wenigen Metern komme ich zum nächsten Strandrestaurant. Ich setze mich in einen riesigen Sitzsack unter dem Dach aus Palmblättern, blicke durch bunte Lampions auf das Meer und bestelle mir Momos und ein Mangolassi dazu. Mit dem einmaligen Ausblick und hintermalt durch sanfte Loungemusik schmeckt es ausgezeichnet.

Da die Sonne nun bereits weit draußen über dem Arabischen Meer steht, beschließe ich, den Rückweg nach Calangute anzutreten, um vor der Dunkelheit dort einzutreffen. Ich gehe den Strand zurück, wobei ich mir aufgrund der fortgeschrittenen Nachmittagsstunde – wie spät es genau ist, habe ich keine Ahnung, das ist hier aber auch sowas von egal – diesmal weniger Zeit lasse. Ich bemerke jedoch, dass ich einen ordentlichen Weg zurückgelegt habe.

Sonnenuntergang in Calangute

Als ich in Calangute ankomme, habe ich bereits wieder Hunger und spüre meine Füße aufgrund des vielen mühsamen Gehens im Sand. Hans finde ich an unserem gewohnten Platz am Strand direkt vor unserer Unterkunft. Er hat den Tag, so wie die letzten, fast ausschließlich am Strand verbracht. Nur einmal sei er zu einem der zahlreichen Gebrauchtbuchstände entlang der Straßen des Orts spaziert, um sich mit neuer Lektüre einzudecken, da er bereits wieder ein Buch ausgelesen hat, wie er mir erzählt. Ich berichte ihm von meiner Entdeckung des „Hippiehauses“, wie ich es nenne, und beim Abendessen in einem Restaurant direkt am Strand – diesmal gibt es fangfrische Seebrasse gegrillt, die uns der Kellner nebst anderen Fischen und Meeresfrüchten auf einem großen silbernen Tablett am Tisch zur Auswahl präsentiert –inklusive eines sensationellen Sonnenuntergangs beschließen wir, das Haus in den nächsten Tagen gemeinsam aufzusuchen.

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