Teil 5: Bullet 500
05.09.2000
Heute steht das nächste indische Experiment auf dem Programm. Wir sind gerade einmal zwei Tage hier und haben schon so viele Dinge gesehen, erlebt, gemacht, gerochen und gespürt, dass unsere Synapsen bereits den ganzen Tag Breakdance tanzen. Alles, was wir hier angehen und unternehmen, wird zu einem kleinen Abenteuer. Nichts ist, wie es scheint, und alles so anders als zuhause.
Heute also gehen wir Motorrad fahren. Unser Freund John hat uns quasi aufgedrängt, sein Motorrad auszuleihen. (Nicht, dass wir demgegenüber abgeneigt gewesen wären, doch die kindlich-störrische Nachdrücklichkeit, mit der er uns das Angebot unterbreitet hatte, hat uns amüsiert.) Wir fahren mit einer Rikscha nach Mamallapuram und lassen uns vor der Filiale der Indian Overseas Bank absetzen. Die Filiale ist ein kleines, rechteckiges, ebenerdiges, schmutziggelbes Häuschen mit vergitterten Fenstern, das umgeben von großblättrigen, gedrungenen Bäumen in einem mäßig gepflegten Garten steht. Vor der Tür lehnt ein Wachmann in brauner Uniform mit einem Bambusstock am Gürtel. Als er uns kommen sieht, lächelt er uns freundlich zu und nippt an seiner Tasse Chai. Wir fragen ihn nach John. “Ah. Misterr Alex, the boss! He is in the Office.” Er verschwindet in der gläsernen Doppeltüre. Vor ihr ist eine Gittertür gerade so weit aufgeschoben, dass ein Mensch hindurch schlupfen kann. Eine dicke rostige Kette mit einem ebensolchen Schloss dran hängt von ihr herab. Wir folgen dem Wachmann ins Innere der Bank. Sofort fühle ich mich wie in einem billigen 80er-Jahre Kriminalfilm. Der Schalterraum ist etwas düster. Die Farbe bröckelt an einigen Stellen von der Wand. Schimmelflecken übersäen die Decke. Mitten durch den Raum läuft ein langer Tresen mit Schaltern hinter Glas, das auf den ersten Blick nicht gerade so stabil aussieht, wie man es in einer Bank erwarten würde. Hinter zwei Schaltern sitzen dicke Inderinnen in bunten Saris. An der Decke dreht ein weißer Ventilator, von dessen Mitte ein scheusslicher kleiner Blumenpseudokristalluster herabhängt, unermüdlich seine Runden. Kunden sind keine zu sehen. Dem Wachmann folgend entdecken wir in der Ecke des Raumes einen scheinbar provisorisch im Nachhinein hineingebauten Glaskubus von etwa vier mal vier Meter Grundfläche. Absurderweise trennt ihn vom Schalterraum, den man von ihm durch die Glasfronten bestens im Blick hat, eine Holztüre. Wir folgen dem Wachmann durch die Tür und stehen in Johns Büro, wie uns erst jetzt bewusst wird. In der Mitte des Raumes steht ein großer Schreibtisch, vollgeräumt mit Akten, Bilderrahmen und Büromaterial. Alles wird von einem vorsintflutlichen Monitor überragt, der mich sofort an meinen ersten Commodore 64 Computer erinnert. An einer Wand steht ein großer, metallener Aktenschrank, aus dessen geöffneten Türen Akten herausquellen. Durch das Fenster der anderen Wand sieht man in den Garten. Knallorange blühende, strauchartige Blumen wachsen davor. Über dem Fenster surrt leise eine Klimaanlage. Sie ersetzt hier den sonst obligatorischen Deckenventilator. Unter dem Fenster steht ein Kastl aus Holz, mit geschlossenen Türen. Darauf befindet sich ein Kopiergerät. Mehr an Einrichtung fällt mir im Moment nicht auf.
John sitzt auf einem Bürostuhl hinter dem Schreibtisch und blickt von seinen Akten auf, als wir eintreten. “Hello my frriends! Good morrning!”, begrüßt er uns fröhlichst. “Yu wont chai?” Ohne unsere Antwort abzuwarten, deutet er dem Wachmann, er solle Tee für uns holen. John steht auf und umarmt uns beide innigst. “So how arre yu feeling? How do yu like India today?” fragt er, während er Hans amikal auf die Schulter klopft. Wir wissen gar nicht, wo wir anfangen sollen und erzählen ihm so äußerst unchronologisch, was wir schon alles erlebt haben, seit wir hier angekommen sind. Der Wachmann bringt den Chai für uns, bleibt an der Türe stehen, dreht sich zu uns, faltet die Hände vor der Brust und verbeugt sich leicht zum Gruß, bevor er das Büro wieder verlässt.
So also sieht in Indien das Büro des Filialleiters einer Bank aus. In Österreich würde der selbe Raum vielleicht in den 1980er-Jahren als Direktorszimmer einer Landvolksschule durchgegangen sein. Der einzige, der mit viel Fantasie ein wenig an eine Bank erinnert, ist John selbst. Er trägt eine dunkelblaue Bundfaltenhose, dazu ein himmelblaues Hemd mit aufgestrickten Ärmeln und nobel wirkende hellbraune Lederhalbschuhe. Durch seine Krankenkassenbrille funkeln vergnügt seine schwarzen, runden Augen. Amüsiert hört er unseren Schilderungen zu und erläutert dies und jenes mit indischer Fachkenntnis. “So yu have to drrive my bike!”, fordert er uns wie selbstverständlich auf. “Yu know to drrive?”, fügt er eher rhetorisch hinzu. Wir sagen ihm, Hans habe einen Führerschein, worauf er meint, das sei nicht so wichtig, er wolle nur wissen ob dieser fahren könne, denn er habe eine große Enfield. Eine große Enfield! Eine Royal Enfield Bullet 500. Also eine mit 500 Kubikcentimetern. Das Motorrad mit der längsten Produktionsgeschichte überhaupt. Die Bullet wird kontinuierlich seit 1948 gebaut. Royal Enfield produziert Motorräder bereits ununterbrochen seit 1931. Zunächst in Enfield, einem Staddteil im Norden Londons, seit einer Großbestellung durch die indische Armee ab 1949 dann in Chennai. Seit damals hat sich die Marke zum indischen Kultobjekt entwickelt. Längst ist das Unternehmen voll in indischer Hand und es wird nur mehr in Indien produziert. Die Bullet 500 ist zum Statussymbol der neuen indischen Mittelschicht geworden. Dieses Schmuckstück will uns John also tatsächlich für die nächsten Tage zur Verfügung stellen – einfach so. “The bike is in my house. You will have to come with me. I will be rready herre at two o’clock”, spricht er und wendet sich wieder seiner Arbeit zu, nicht ohne uns vorher darüber zu informieren, was wir uns in der Zwischenzeit in Mamallapuram anschauen sollten.
Wir folgen seinem Rat, steigen zum Leuchtturm am Hügel hinauf, von wo man einen herrlichen Blick auf das arabische Meer hat, bestaunen das riesige Felsrelief “Arjuna´s Penance” und wundern uns wie Tausende anderer Touristen, dass “Krishna´s Butter Ball” nicht von seinem Standort auf einer abschüssigen Granitplatte rollt.
Punkt 14 Uhr sind wir wieder in der Indian Overseas Bank. Wie uns der Wachmann mitteilt, ist John noch in einer Besprechung. Er versichert uns jedoch, es werde nicht mehr lange dauern, und er bringe uns in der Zwischenzeit einen Chai. Sprichts, winkt einen Jungen von der Straße herbei, drückt ihm ein paar Münzen in die Hand und schickt ihn Chai holen. Wenige Minuten später kommt der Junge mit zwei dampfenden, kleinen Plastikbechern zurück. Er überreicht sie uns, nicht ohne uns danach so lange treuherzigst anzuschauen, bis wir ihm ein paar Rupien als Trinkgeld geben, ehe er sich wieder in den Trubel der Straße verzieht. Wir warten eine Dreiviertelstunde, die wir uns damit verkürzen, das Treiben auf der Straße zu beobachten und Gold Flake Zigaretten zu rauchen. Schließlich kommt John aus der Bank. “Hello my frriends!”, begrüßt er uns freudestrahlend wie immer, “ how arr yu doing? Yu liked the town?” Es folgt die übliche freudige Umarmung, als wären wir soeben von einer Weltreise zurückgekehrt und Erzählungen unsererseits, was wir in den letzten Stunden getrieben haben. Wir zwängen uns in Johns Maruti, der vor der Bank abgestellt ist, und fahren los nach Chengalpattu, 20 Kilometer im Hinterland Mamallapurams am Palarfluss gelegen, der Heimatstadt von John.
Dort angekommen werden wir der Familie vorgestellt. In Johns kleinem, zweigeschossigen Haus mit einem winzigen Vorgarten, in dem ein Bananenbaum wächst, wohnt er mit seiner Frau, den drei Kindern, seinen Eltern und einem Hund. John´s Frau ist gerade in der Küche beschäftigt, Minuten später kredenzt sie uns unaufgefordert herrlich süßen Masala Chai und Kekse. John stellt sie uns als Anne vor, und sie begrüßt uns scheu lächelnd, ehe sie wieder in der Küche verschwindet. Im Wohnzimmer sitzt Johns Mutter, eine schöne, alte Frau mit schlohweißem Haar, das sie am Hinterkopf zu einem Knödel hochgesteckt hat, einem ebenso weißen, leichten Stoffkleid, neugierigen Augen, die durch ihre dicke Brille schelmisch hervorgucken, und langen, faltigen Fingern, mit denen sie flink und behände etwas häkelt. Sie lächelt uns zur Begrüßung strahlend an, wobei sie zahlreiche Zahnlücken entblößt. In tiefer, sonorer, etwas rauchiger Stimme spricht sie zu uns auf Tamil. John ruft etwas uns unverständliches ins Hintere des Hauses, ehe er uns die Worte seiner Mutter als Willkommensgruß übersetzt. Sekunden später kommen ein Mädchen und ein Bub ins Zimmer. Beide tragen eine Schuluniform: der Junge eine dunkelblaue Hose, ein hellblaues Hemd mit einem Wappen auf der Brust und eine dunkelblaue Krawatte, das Mädchen dunkelrote Kniestrümpfe und Bluse mit Emblem auf der Brust und einen grauen Faltenrock. Sie stellen sich nebeneinander auf und falten zum Gruß die Hände vor der Brust. “These arr my two youngerr children”, erklärt uns John hörbar stolz, “Paul is six and Mary is nine.” Sechs und neun? Wie kann das sein? Die zwei Kinder vor uns sehen aus wie vielleicht vier und sechs Jahre alt. “I have one morre child”, fegt John mein zweifelndes Staunen beiseite, “but Joseph is still in school. He is fourrteen.” Joseph und Maria heißen seine beiden ältesten Kinder also. Dieser Haushalt ist tatsächlich ein tief christlicher. “Go forr grrandpa!”, sagt er zu seinen Kindern, worauf diese wieder im Hinterzimmer verschwinden. Kurz darauf kommen sie wieder, diesmal zu zweit, Johns Vater in einem beängstigend alt und instabil wirkenden Rollstuhl vor sich herschiebend. Johns Vater sieht uns mit seinen großen schwarzen Augen durchdringend an und reicht uns die Hand zum Gruß. Sein Händedruck ist überraschend kräftig. Die Kinder verschwinden durch die Haustür, dafür trottet nun plötzlich ein Hund, eine braun-weiße, schlecht proportionierte Promenadenmischung in der Größe eines Beagles durch die Tür herein. “Ah, this is Jerremy, ourr stupid dog“, stellt John auch ihn vor. Jeremy lässt sich davon jedoch nicht beeindrucken, sondern watschelt weiter durchs Wohnzimmer und verschwindet durch die Hintertür. Johns Eltern löchern uns mit Fragen und zwingen uns förmlich dazu, immer mehr Kekse zu essen und Chai zu trinken. John übersetzt geduldig und stolz ihre Fragen und unsere Antworten. Irgendwann kommt auch noch seine Tante, die gleich nebenan wohnt, vorbei, um uns zu begrüßen. Als sich mein Magen vom vielen Chai und den süßen Keksen bereits sehr verpickt anfühlt, sagt John schließlich, dass es an der Zeit für uns wäre, die Rückfahrt mit dem Motorrad anzutreten. Wir sollten vor der Dunkelheit in Mamallapuram sein, da das Licht bei seiner Enfield nicht funktioniere. Aha! Wir verabschieden uns also höflich von allen und John führt uns durchs Hinterzimmer und einen kleinen Gang in den Hinterhof. Und da steht sie: schwarz wie die Nacht, blitzblank geputzt und unheimlich schön – seine Royal Enfield Bullet 500. Der Traum jedes Inders, der es geschafft hat, sich in der Mittelklasse zu etablieren. Das Design der Enfield hat sich seit den 40er-Jahren, als die Produktion nach Indien verlegt worden ist, kaum verändert und selbst die Technik ist nur minimalen Adaptionen unterzogen worden. Dafür ist die Enfield ein Sinnbild für Zuverlässigkeit und in McGyver-Manier selbst in der tiefsten Pampa stets mit einem Stück Draht und einem Kaugummi zu reparieren. Dieses Prachtstück eines Klassikers werden wir also die nächsten Tage zu unserer Verfügung haben. Ein weiterer Traum wird wahr.
Hans hat zwar den Motorradführerschein, doch eine Enfield in Indien zu fahren, stellt jedenfalls für jeden Festlandeuropäer eine Herausforderung dar. Als ehemalige indische Kolonie herrscht in Indien Linksverkehr. Die Straßen sind in schlechtem bis katastrophalem Zustand, ein Gutteil der Verkehrsteilnehmer sind Analphabeten, von denen man nicht erwarten kann, dass sie Verkehrsregeln kennen (und denen, die sie kennen, sind sie auch vollkommen egal) und auf den Straßen ist mit Fahrzeugen aller Art über Zweibeiner bis hin zu Vierbeinern jeglicher Spezies jederzeit und überall zu rechnen. Als zusätzliche Herausforderung sind bei der Enfield als Motorrad britischer Herkunft Bremse und Gangschaltung seitenverkehrt zu festlandeuropäischen Fahrzeugen. Dieser Herausforderung will sich Hans stellen. Irgendwie bin ich froh, keinen Führerschein zu besitzen und also nicht selbst fahren zu müssen.
Hans dreht ein paar vorsichtige Runden vor dem Haus, nicht ohne ein paar mal Bremse und Kupplung zu verwechseln, was John jedes mal einen Lachkrampf verursacht. Nach einigen Minuten meint dieser: “Yu arr doing quite well. I think yu arr now prreparred. Good luck my frriends and have fun!” Wir verabschieden uns herzlich, sitzen auf und fahren zurück Richtung Mamallapuram. Der Weg führt uns über eine mit Schlaglöchern übersäte Landstraße, die sich zwischen Reisfeldern, Kokospalmhainen und verdorrtem Brachland durchschlängelt. Dazwischen liegen immer wieder brackige kleine Tümpel, in denen weiße Reiher herumstolzieren. Während Hans immer wieder mit Schlaglöchern, mitten auf der Straße liegenden Kühen, in uneinsichtigen Kurven überholenden LKWs und unangekündigten, nicht abgesicherten Baustellen zu kämpfen hat, kann ich am Sozius diese wunderschöne Landschaft, von einigen Schrecksekunden abgesehen, voll genießen.
Schließlich taucht am Horizont der Leuchtturm vom Mamallapuram auf. Minuten später fahren wir fröhlich hupend in den Ort ein. Wir beschließen, etwas essen zu gehen, da uns die Fahrt hungrig gemacht hat. Wir parken vor dem “Moonrakers“, einem netten, mit Lampions geschmückten, ausgezeichneten Seafood-Restaurant auf der Othavadai Street, der vom Ortszentrum zum Strand führenden Straße in Mamallapuram. Nachdem wir uns den Bauch vollgeschlagen haben, ist es Zeit zurück ins Mamalla Beach Resort zu fahren. Allerdings ist es nun bereits dunkel und wie John erwähnt hatte, funktioniert der Scheinwerfer seiner Enfield nicht. Scheinbar ist man hier diesbezüglich nicht so genau, jedoch befindet sich am Ortsrand von Mamallapuram am Weg zum Resort ein Polizeiposten, wie uns in den letzten Tagen aufgefallen ist. Direkt neben der Straße steht dort ein winziges, rechteckiges Betonhäuschen mit einem rostroten Ziegeldach. Davor flattert auf einem krummen Holzmast eine indische Fahne im Wind und manchmal, wenn wir in den letzten Tagen daran vorbeigekommen sind, ist ein sandfärbiger Mahindra-Geländewagen mit Blaulicht davor gestanden. Zumeist sitzen einige Polizisten unter dem Vordach aus getrockneten Palmblättern und beobachten das Treiben auf der Straße. Dort also müssen wir nun ohne funktionierenden Scheinwerfer im Dunkeln vorbei. Helmpflicht scheint es in Indien keine zu geben und wenn, hält sich zumindest niemand daran. Das haben wir bereits bemerkt. Aber nachts ohne Licht direkt bei der Polizei vorbei zu fahren erscheint uns nun doch etwas gewagt.
Nichtsdestotrotz machen wir uns auf den Weg. Hans schafft es nach einigen Versuchen mit dem Kickstarter den Motor der Enfield anzuwerfen und wir fahren los bis zum Ortsrand. Kurz vor der Polizeistation hört die Straßenbeleuchtung auf. Hans fährt an den Straßenrand und bleibt stehen. Etwa hundertfünfzig Meter vor uns erleuchtet eine nackte Glühbirne, die unter dem Vordach im lauen Abendwind baumelt, schummerig die Polizeistation. Ansonsten ist es nun bereits stockdunkel. Nur im Osten knapp über dem Horizont hängt wie ein breit grinsender Mund die Mondsichel über der Bucht von Bengalen. “Was mach ma?”, fragt mich Hans. “Woher soll ich das wissen?”, entgegne ich ratlos, “Du warst schon mal drei Wochen hier, nicht ich.” “Ja, aber da bin ich nicht nachts mit einem Motorrad ohne Licht herum gefahren.” “Na ja, irgendwie müssen wir wieder ins Resort zurück. Meinst du, wir sollten das Bike vorbei schieben und einfach erst nachher wieder aufsitzen?” “Was weiß ich?!”
Während wir uns recht ratlos unterhalten, was zu tun ist, wird von hinten ein motorisches Knattern immer lauter. Wir drehen uns Richtung Ort und sehen im Schein der letzten Straßenlaterne eine Enfield herantuckern. Sie hat kein Licht. “Okay, dann schau ma mal, wie man das hier macht”, meint Hans. Auf dem Motorrad sitzen drei junge Männer. Als sie an uns vorbeifahren, sehen wir, dass ihre Maschine auch kein Rücklicht hat. Wenigstens das funktioniert an unserer Bullet. Die drei fahren seelenruhig an der Polizeistation vorbei. Die zwei Polizisten, die gerade unter dem Vordach Chai trinken, sehen kurz auf, als die Maschine vorbeiknattert, und kehren sogleich zu ihrer Konversation zurück. Das war es. Keine weitere Reaktion von den Uniformierten. Hans und ich schauen uns etwas ungläubig an.
Wenn die zu dritt auf einem Motorrad ohne Licht einfach so dort vorbeifahren, dann sollten wir zu zweit mit zumindest einem funktionierenden Rücklicht das wohl auch schaffen, denke ich mir. Zu Hans sage ich: “Was die können, können wir schon lang! Fahr ma?” “Sieht ganz danach aus, warum nicht?”, lautet Hans´ nun ermutigende Antwort. Wir sitzen wieder auf und Hans steuert die Enfield auf die Polizeistation zu. Als wir sie passieren, heben die zwei Polizisten abermals die Köpfe. Als sie im Dämmerlicht der Glühbirne scheinbar erkennen, dass wir zwei Weiße sind, winken sie uns zu, rufen freudig und lauthals “Hello!”, und geben uns noch irgendeine Nachricht mit auf den Weg, die ich nicht mehr verstehen kann. Als ich mich umdrehe, sind sie bereits wieder in ihr Gespräch vertieft, als wären wir nie vorbeigefahren. Eine notwendige technische Überprüfung von Fahrzeugen dürfte es hier also scheinbar auch nicht geben.
So erreichen wir schließlich satt, sicher, heil, glücklich und zufrieden und erneut voller unglaublicher Eindrücke unser Resort, wo wir zur Beendigung des Tages noch am Strand eine Gold Flake rauchen und zum Tagesausklang dem Rauschen des Ozeans zuhören.
Glossar:
- Mahindra – Indische Automarke
- Maruti – Indische Automarke
- Masala Chai – Schwarztee mit viel Milch, Zucker und Gewürzen
- Tamil – Regionale Sprache in Tamil Nadu