Donnerstag, April 18, 2024
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Wahre Menschen trinken Coke

Mexiko ist der weltgrößte Cola-Konsument und wird dadurch zur vordersten Front von Coca-Cola und Pepsi, die ihren Cola-Krieg zu einem religiösen Krieg machen wollen. Am Beispiel der Tzotzil Indianer im mexikanischen Bundesstaat Chiapas, lässt sich zeigen, wie sich Politik, Religion und Tradition instrumentalisieren lassen um Märkte zu dominieren.

Ritual

Tzotzil-Prozession auf dem Weg in die Pfarrkirche San Juan (Wikimedia Commons)
Tzotzil-Prozession auf dem Weg in die Pfarrkirche San Juan (Wolfgang Sauber, San Juan Chamula – Prozession 1, CC BY-SA 3.0)

Umgeben von Kerzen und Cola-Flaschen sitzen kleine Gruppen der Tzotzil auf dem, von Kiefernnadeln gesäumten Boden der Pfarrkirche San Juan. Verse werden zitiert und Hühner über Köpfe gereicht. Das Cola – meist in Schnapsgläsern serviert – wird getrunken, in Richtung der Hühner gerülpst und ihnen daraufhin das Genick gebrochen. Früher wurde für diese Zeremonien ausschließlich Pox getrunken. Pox bedeutet in der Tzotzil-Sprache soviel wie „Medizin, Heilung“ und ist eine Art Zuckerrohrschnaps. Seit den 1960er Jahren wird Pox fast nur noch zusammen mit Cola getrunken. Über die letzten Dekaden haben lokale Caciques – indigene Anführer, die den Großteil der Ökonomie und Politik, und damit auch die Getränkekonzessionen kontrollieren – Gläubige davon überzeugt, dass Pox nur mit Cola getrunken werden sollte. Dabei ist es entscheidend, welche Cola-Marke für die Rituale verwendet wird: Coca-Cola oder Pepsi, je nachdem wer die Missionierung vornimmt. Religiöser Hintergrund, politische Gesinnung und Marktstellung spielen bei der Wahl der richtigen Cola eine maßgebliche Rolle. Wie gut das Marketing funktioniert sieht man daran, dass der Bundesstaat Chiapas die höchste Rate an Unterernährung und gleichzeitig den größten Cola-Verzehr Mexikos hat.

Religiöse Bäuerchen

Das Rülpsen ist in den Ritualen der Tzotzil Indianer fest verankert. Dadurch sollen böse Geister und Dämonen den Körper verlassen und auf Opfertiere – größtenteils Hühner – übertragen werden. Eine der Kultstätten für diese schamanischen Rituale ist die katholische Pfarrkirche San Juan (Johann Baptist) in der in Chiapas gelegenen Ortschaft Chamula. Dadurch wird schnell klar, dass die Tzotzil-Religion durch die Missionierung stark beeinflusst wurde und nun eine Mischung aus beiden Religionen darstellt. So haben die Indianer Jesus nie akzeptiert, sondern verehren Johannes den Täufer als ihren Heiligen. Katholische Priester werden generell gemieden und sind höchstens zu speziellen Anlässen wie etwa Taufen anwesend.

Die Tzotzil gelten als direkte Nachfahren der Maya. Sie bewohnen den mexikanischen Bundesstaat Chiapas, der an der Grenze zu Guatemala liegt. Selbst bezeichnen sie sich als „batsil winik´otik“, „wahre/ursprüngliche Menschen“. Wobei sich der Name Tzotzil von dem Municipio Zinacantán „sots’il winik“ ableitet, was „Fledermausmenschen“ bedeutet. Einer Legende nach sollen die Vorfahren der Tzotzil in Zinacantán eine Fledermaus vorgefunden haben, die sie sodann als Gottheit verehrten. Die Tzotzil-Sprache ist übrigens eine der vitalsten indigenen Sprachen Mexikos.

Coca-Cola (Wikimedia Commons)
(C) Coca-Cola (Wikimedia Commons)
Pepsi (Wikimedia Commons)
(C) Pepsi (Wikimedia Commons)

Cola-Krieg

Die Entwicklung, hin zu diesem derart aggressiv umkämpften Markt, hat seinen Ursprung im frühen 20. Jahrhundert. In den 1920er Jahren begann Coca-Cola, von den Vereinigten Staaten aus, neue Märkte zu erschließen und global zu exportieren. 1927 wurde die erste Getränkeabfüllung in Mexiko eröffnet. Pepsi hingegen verkauft seine Cola schon seit den frühen 1900er Jahren in Mexiko, hat sich aber an dem mexikanischen Cola-Krieg erst ab 1941 wirklich ernsthaft beteiligt. Eigentlicher Auslöser war ein Zucker-Rationalisierungsgesetz – durchgesetzt von einem einstigen Coca-Cola Manager – das Pepsi dazu zwang, Getränkeabfüllungen in Mexiko zu errichten. Seither kämpfen die Konzerne um die Marktdominanz in Mexiko, sowie um die Vormachtstellung auf dem Weltmarkt. Dabei versuchen beide Konzerne mittels Exklusiv-Verträgen mit Lokalen, Supermarkt-Ketten und Ähnlichen den alleinigen Vertrieb ihres Produktes zu sichern. Der Verdrängungswettbewerb hat auch Einfluss auf die amerikanische Politik. Die Demokraten etwa werden traditionell von Coca-Cola, die Republikaner von Pepsi unterstützt. Richard Nixon zum Beispiel war langjähriger Anwalt von Pepsi und trank es 1959 sogar öffentlich in Moskau während der legendären Küchendebatte mit Nikita Chruschtschow. Auf Seite der Demokraten wiederum half Jimmy Carter den chinesischen Markt für Coca-Cola zu öffnen.

 

Mexikos Cola-Politik

Vicente Fox (Wikimedia Commons)
Vicente Fox (gemeinfrei, Wikimedia Commons)

Wie weit die Cola-Konzerne in die mexikanische Politik verwickelt sind, zeigt das Beispiel von Vicente Fox. Seinen beruflichen Einstieg bei Coca-Cola machte Fox als LKW-Fahrer – seinen Ausstieg, nachdem er 15 Jahre lang Präsident des Konzerns war. Daraufhin wechselte Fox in die Politik und war von 2000 bis 2006 Präsident von Mexiko. Während seiner Anstellung als Manager war er maßgeblich daran beteiligt, Pepsi als Nummer Eins in Mexiko zu stürzen.

Zurück nach Chamula. Direkt neben der Pfarrkirche San Juan befindet sich das Hauptquartier der PRI (Partido Revolucionario Institucional), der Partei der institutionellen Revolution. Die einzige Partei, die in Chamula zugelassen ist. Die PRI hat großes wirtschaftliches Interesse am Cola-Markt. So sind zum Beispiel die Coca-Cola und Pepsi Lagerhäuser am Rande der Stadt in ihrem Besitz. Die Caciques sind sich zur Stellung der PRI einig und sagen: „Gegen die PRI zu sein, heißt gegen die Tradition zu sein“.

Verfügbarkeit

Generell scheint die Bereitschaft der Konzerne, den Markt zu dominieren sehr hoch zu sein. Um wieder zum Beispiel Chiapas zurück zu kommen: In einem Bundesstaat, in dem das Grundwasser größtenteils ungenießbar ist, greift die Bevölkerung gerne auf abgefüllte Erfrischungen zurück. „Verfügbarkeit ist Trumpf“, bestätigte schon der Coca-Cola’s Marketing Manager Rodolfo Echeverria in einem Financial Times Artikel. Die meisten Mexikaner müssen ihre Straße nicht verlassen, um Cola zu kaufen. Viele kleine Geschäfte, Kiosks oder Familien verkaufen Cola von ihrer Eingangstür aus. Dabei verkauft jedes Geschäft immer nur eine Marke. Um Exklusiv-Verträge zu provozieren, bezahlt Pepsi Stromrechnungen, Geschäfts-Renovierungen oder lockt mit Gratis-Lieferungen. Coca-Cola sponsert in großem Stil Kühlschränke, die nur Coca-Cola Produkte beinhalten sollen, können, oder dürfen.

Mexiko (wikimedia commons, gemeinfrei)

Laut dem letzten veröffentlichten Coca-Cola-Jahresbericht  von 2012 stellt Mexiko den weltweit größten Abnehmer dar. Weit voran, mit 745 Portionen pro Person und Jahr. Dabei stellt eine Portion eine Menge von 0,24 Litern dar. Also umgerechnet knapp ein halber Liter pro Person am Tag. Eine unglaubliche Menge! Zum Vergleich: Chile an zweiter Stelle trinkt 486 Portionen pro Jahr, danach kommt Panama mit 416 und die USA mit 401. Der weltweite Durchschnitt liegt bei 94 Portionen; Österreich schafft 259, also 0,17 Liter pro Person und Tag.

Ein Artikel im Atlanta-Journal Constitution zitiert dazu Journalist Gasper Morquecho: „It (Coca-Cola) has become very important in all of life in Chamula, and in the indigenous population of other towns in the highlands of Chiapas. Coca-Cola connected itself not only to the economy but also to the powerful groups, the elite who have political, economic and cultural control.“

Sucht

In Kombination ergibt Zucker und Koffein eine Substanz mit hohem Suchtpotential. Eine Studie der Johns Hopkins Medicine fand heraus, dass Kinder sowie Erwachsene eine physische und psychische Abhängigkeit von koffeinhaltigen Softdrinks entwickeln können. Typische Entzugserscheinungen sind dabei Kopfschmerzen und Lethargie. Das ganze wird auch als Coffeinismus bezeichnet, und eine der schönsten Nebenwirkungen scheinen bizarre oder unangenehme Träume zu sein.

Neben einer Abhängigkeit konnte bei exzessivem Cola-Konsum auch ein gravierender Kaliummangel mit der Folge von Müdigkeit und Muskellähmungen bis hin zu Herzrhythmusstörungen beobachtet werden. Es wird angenommen, dass der Kaliummangel durch ein Zusammenspiel der Inhaltsstoffe Glukose, Fructose und Koffein verursacht wird. Der Zucker und die Säuerungsmittel Phosphorsäure, Kohlensäure und Zitronensäure in Coca-Cola können zu Zahnschäden führen, da andauernde Säureumspülung den Zahnschmelz erodiert. Auch der Verdacht, dass Cola bei Frauen zu einer deutlichen Schwächung der Knochen führt, liegt nahe.

Wasser

Cola wird zu einem großen Teil in Mexiko hergestellt. Diese Tatsache gefährdet den Wasserhaushalt des Landes, sowie den indigenen Einfluss im Bezug auf das nationale Ressourcenmanagement. Es braucht drei Liter Wasser, um einen Liter Cola zu erzeugen. In einem Land mit sehr begrenzten Trinkwasserreserven ist das eine schlechte Bilanz. Coca-Cola hat 27 Wasserkonzessionen mit der mexikanischen Regierung ausverhandelt. 19 davon für die Entnahme von Wasser aus Bewässerungssystemen, darunter befinden sich 15 Flüsse, die zum Teil indigenen Bevölkerungsgruppen gehören. Acht Konzessionen regeln die Einleitung von Industrieabwässern in öffentliche Gewässer. Um diese Prozesse zu unterstützen, hat Fox – mit Hilfe der Weltbank – erfolgreich ein Programm zur Privatisierung von Land und Gewässern durchgesetzt, das Firmen den Zugang zu diesen Ressourcen ermöglicht (Stand 2006).

Boykott

Big Cola (Wikimedia Commons)
Big Cola (Wikimedia Commons, gemeinfrei)

Immerhin, die Strömungen weg von der Dominanz der großen Cola-Marken wächst. Ebenfalls auf dem Markt vertreten ist Big Cola des peruanischen Konzerns Ajegroup, die keine Verbindungen zu den Caciques oder der PRI haben soll. Der Marktanteil bleibt jedoch gering. Xoxocotla, eine indigene Stadt im Bundesstaat Morelos ist sogar so weit gegangen, die Coca-Cola Marke aus ihreren Läden zu verbannen. Der Konzern wollte ein Verkaufsverbot aller konkurrierenden Softdrink-Hersteller durchsetzen, woraufhin sich die Bewohner bei einer Versammlung darauf einigten, ganz einfach die Coca-Cola Marke aus ihrer Stadt zu verbannen. Auch auf dem World Social Forum wurde zu einem Boykott gegen Coca-Cola aufgerufen. Ob Pepsi erwähnt wurde, ließ sich leider nicht herausfinden.

Es gibt also Hoffnung für eine Rückentwicklung, hin zu einem relativ normalen Marktverhalten. Vorübergehend haben beiden Hauptkonkurrenten jedoch fast alles erreicht, was sie sich träumen lassen konnten. Politischen Einfluss und religiöse Strömungen basierend darauf welche Cola-Marke getrunken wird.