Historisch gesehen ist Billard zur Zeit nicht besonders beliebt. Zwar lassen sich in allen möglichen Lokalen Billardtische finden, jedoch ist die Zeit als Billard ein Breitensport war längst vorbei. Vor etwa 100 Jahren gab es rund 830 Billardhallen in Chicago. Zählt man zum Vergleich alle Tankstellen, McDonalds und Starbucks, die es derzeit in Chicago gibt zusammen, kommt man auf weniger als 600. Heute gibt es dort nicht einmal mehr zehn Billardhallen. In Wien spricht man naturgemäß von Billardcafés und davon lassen sich immerhin noch 21 finden, wobei man beachten sollte, dass sich manches Café mit nur einem Billardtisch ebenfalls Billardcafé schimpft.
Neben dem Aufstieg und Fall des Billards als populären Zeitvertreib, den unzähligen Spielvarianten und der Verbreitung über die ganze Welt, ist an der Geschichte des Spieles vor allem eines interessant: Die Kugeln, denn die Entwicklung der Billardkugel beeinflusst die Welt bis heute.
Der amerikanische Billardspieler Michael Phelan war einer der Menschen, die dafür verantwortlich waren, dass Billard so populär wurde. Nicht nur war das irischstämmige Multitalent ein hervorragender Spieler, er hat sich auch maßgeblich für die Verbreitung und Entwicklung des Sports eingesetzt. Der US-Aussenminister soll ihn einmal folgendermaßen vorgestellt haben: …, Erfinder, Schriftsteller, Verleger, Spieler, Turnierveranstalter, Billardsalon-Inhaber, Promoter, Designer, Kolumnist, Unternehmer und Visionär. Phelan besaß eine Billardhalle in New York und ließ sich selbst entwickelte Banden für Billardtische patentieren. Er war entschlossen einen Billardtisch herzustellen, der zum Standard-Modell für die ganze Welt werden sollte.
Zur Zeit als Phelan in den 1850er Jahren seinen Billardsalon eröffnete, gab es kein einheitliches Reglement für das Spielmaterial. Überall wo man hinkam, sahen die Tische etwas anders aus, und es wurde mit unterschiedlichen Kugeln gespielt. Die Vereinheitlichung der Kugeln stellte sich dabei als größtes Problem heraus, da Billardkugeln ursprünglich aus Elfenbein gefertigt wurden und sich schnell abnutzten. Dadurch wurde ein Nachschleifen nötig, wodurch die Kugeln kleiner wurden.
Billardkugeln müssen einige physikalische Eigenschaften aufweisen, wie etwa gutes Abprallen oder eine einheitliche Dichte. Ein Rohstoff als Alternative zum Elfenbein, der diese Anforderungen erfüllte, war damals nicht bekannt, was die Kugeln unglaublich teuer machte.
Die Elfenbeingewinnung war von Grund auf teuer und grausam, dazu kam noch, dass lediglich das hochwertigste Elfenbein für Billardkugeln verwendet wurde. Aus einem Stoßzahn konnten im Schnitt lediglich drei Kugeln produziert werden. Je nach Spielvariante werden zwischen 3 und 23 Kugeln benötigt.
Schließlich schrieb Phelan 1863 einen Preis in Höhe von 10.000 USD für eine Alternative zur Elfenbeinkugel aus. Der New Yorker Drucker John Wesley Hyatt arbeitete jahrelang an einem Verfahren, um den Anforderungen Phelans gerecht zu werden und den Preis der heute etwa 3 Millionen USD wert wäre, für sich zu beanspruchen.
Drucker verwendeten damals Nitrozellulose, um ihre Hände zu schützen. Das Material wird immer noch in Form von Sprühpflastern verwendet. Hyatt fand heraus, dass diese Nitrozellulose sehr interessante Eigenschaften hatte und unter dem Einfluss von Hitze und Druck ähnliche Eigenschaften wie Elfenbein annahm. Das Zelluloid war eine der ersten Plastikverbindungen, jedoch gewann Hyatt damit nicht Phelans Preis, denn die Zelluloidkugeln prallten nicht so gut ab wie Elfenbeinkugeln. Doch Hyatt verwarf die Idee nicht, sondern gründete zusammen mit seinem Bruder eine Reihe von Firmen die Zelluloid verwendeten, um Elfenbeinimitate herzustellen. Grundsätzlich fertigten sie alles, was zuvor aus Elfenbein hergestellt wurde, aus Zelluloid an; alles ausser Billardkugeln.
Die Hyatts inspirierten mit dem von ihnen erfundenen Plastik eine ganze Generation von Chemikern und Materialforschern sich mit Kunststoffen auseinanderzusetzen. Es dauerte dann schließlich noch bis 1905, bis der belgische Chemiker Leo Baekeland den ersten vollsynthetischen, industriell produzierten Kunststoff herstellte. Er benannte seine Erfindung nach sich selbst: Bakelit.
Bald stellte sich heraus, dass sich Bakelit hervorragend für die Verwendung als Billardkugeln eignete. Bakelit löste innerhalb einiger Jahre die Elfenbeinkugel vollständig ab und bereits 1940 wurden Billardturniere nur noch mit Bakelit-Kugeln ausgetragen. Leider war zu diesem Zeitpunkt der Höhenflug des Billards bereits vorbei und der Sport wurde immer unpopulärer. Das Jahrhundert des Billards wurde vom Jahrhundert des Plastiks abgelöst. Was mit der Suche nach einer alternativen Billardkugel begann, hat eine Vielzahl von Kunststoffverbindungen mit unterschiedlichen Eigenschaften hervorgebracht. Fortan wurde alles, was möglich war, aus Plastik hergestellt.
Zelluloid fand eine Nische in der Verwendung für fotografischen Film und wurde zeitweise für andere Bauteile, wie etwa chemisch-mechanischen Langzeitzünder verwendet. Nach und nach wurde das Zelluloid jedoch von neueren Entwicklungen abgelöst. Denn Zelluloid hat den Nachteil, dass es leicht entzündlich ist.
Kunststoffe haben mittlerweile unser Umfeld absolut vereinnahmt. Sieht man sich um, so wird man es überall finden, bis hin zu unserer Kleidung, die oft ebenfalls aus Kunststoff besteht.
Eines der letzten Produkte, welches aus Zelluloid hergestellt wurden, ist der Tischtennisball. Zumindest bis 2013, denn von da an waren Zelluloidbälle nicht mehr für Turniere zugelassen. Das Materialkomitee des Internationalen Tischtennis-Verband (ITTF) schied sie aus. Als Begründung hieß es, dass es in Zukunft schwer werden würde, Bälle aus Zelluloid zu produzieren, da deren Produktion in einigen Ländern verboten werde. Zudem gelten die Bälle wegen ihrer leichten Entzündlichkeit als Gefahrgut. Fortan wird bei ITTF Turnieren ausschließlich mit Plastik gespielt.