Longonot, 11.09.2019
Gestern bin ich mit einem Boda-Boda, dem hier üblichen Motorradtaxi, quer durch Nairobi gefahren, um mich im indischen Einkaufszentrum „Diamond Plaza“ rasieren zu lassen. Außerdem habe ich mir bei einem Schneider eine maßgeschneiderte Kletterhose bestellt. Bei der Fahrt hatte ich Gelegenheit, die hiesigen Verkehrsverhältnisse genauer zu studieren und bin zu dem Schluss gekommen, da ich den hier herrschenden Linksverkehr von Indien her kenne, dass es doch nett wäre, ein bisschen mit dem Motorrad herum zu fahren. Ich habe mir also einen Motorradverleih gesucht, was gar nicht so einfach war, da aus für mich unerklärlichen Gründen scheinbar wenige Ausländer hier Motorrad fahren, wobei das Motorrad doch gerade im ewigen Stoßverkehr von Nairobi das mit Abstand effizienteste Verkehrsmittel ist. Schließlich habe ich doch jemanden gefunden, der Motorräder verleiht, bin noch zwei mal mit dem Boda-Boda quer durch die Stadt und fühlte mich endgültig dazu bereit, dieses Abenteuer anzugehen.
So habe ich also heute morgen meine Sachen gepackt und mir eine Bajaj Boxer 150ccm indischer Bauart ausgeliehen. Gewöhnungsbedürftiger als der Linksverkehr erwies sich am Anfang, dass alle Gänge mit dem Fußhebel nach unten zu schalten waren, anstatt wie bei europäischen Motorrädern normalerweise der erste Gang nach oben und alle weiteren nach unten. Doch bis ich meinen Weg aus Nairobi heraus gefunden hatte, hatte ich auch das unter Kontrolle. Zunächst fuhr ich sicherheitshalber die mir bereits bekannte Straße Richtung Masai Mara entlang, wobei ich am Abriss zum Ostafrikanischen Graben halt machte, um die Aussicht zu genießen und dabei natürlich bei einem der dortigen Souvenirshops einkaufen musste, nachdem mich der Besitzer freundlich eingeladen hatte, von seiner Terrasse aus Fotos zu machen. Am Weg in die Tiefebene hinab säumten Rudel von Pavianen die Straße. Bei der italienischen Kirche blieb ich kurz stehen, um sie mir genauer anzusehen.
Ab Mai Mahiu, der ersten Stadt im Grabenbruch, befuhr ich schließlich für mich absolutes Neuland. Netterweise ist diese alte Verbindung von Nairobi nach Naivasha inmitten des Grabenbruchs in sehr gutem Zustand und verläuft zudem aufgrund der flachen Topografie meist kerzengerade. So hatte ich ausreichend Gelegenheit, die offene Savannenlandschaft und die Fahrt in vollen Zügen zu genießen. Ich fuhr bis zum kleinen Ort Longonot, der wenig mehr ist, als ein von vielen Restaurants gesäumtes Straßendorf, das von Fernfahrern als Raststation verwendet wird. Hier bog ich zum Longonot-Nationalpark ab, welcher den gleichnamigen, erloschenen Vulkan umfasst.
Nach wenigen Kilometern Erdpiste kam ich zu einem Tor, an dem ein großes Schild darauf hinwies, dass es sich um Privatbesitz handle, und deswegen die Einfahrt verboten sei. Ein Wachmann hielt mich auf und ich erklärte ihm, dass ich zum Nationalpark wolle, um dort zu campen. Er teilte mir mit, dass es am Parkeingang einen Campingplatz gebe, rief dort an und sagte mir, man werde mich erwarten. Nach etwa zwei weiteren Kilometern stand ein Mann am Straßenrand und winkte mir freundlich zu. Ich hielt an, er stellte sich als Ben vor und führte mich über einen schmalen von Kakteen gesäumten Hohlweg zum Campingplatz „Shepherd´s Camp“. Dieser war ein eingezäuntes Grundstück mit ein paar Holz- und Lehmhütten darauf, auf dem zwei Kühe grasten und ein paar Hennen herum liefen. Ich war der einzige Gast und das offensichtlich seit längerem, denn Ben zeigte sich überaus erfreut, mich hier zu haben. Ich stellte das Zelt auf, welches ich mir von Palvi geborgt hatte, und plauderte ein wenig mit Ben, der sich als extrem liebenswürdig entpuppte. Da es noch nicht allzu spät war, fragte ich ihn, wie lange es dauern würde, mit dem Motorrad den nahe gelegenen Naivashasee zu umrunden. Ben meinte etwa eineinhalb Stunden. Es war vier Uhr nachmittags, ich hatte also noch etwa zweieinhalb Stunden Tageslicht, weswegen ich beschloss, noch ein bisschen weiter zu fahren.
Ich setzte mich also wieder auf die Boxer, fuhr zum Naivashasee und bog kurz vorm gleichnamigen Ort auf die Straße ab, die rund um den See führte. Die Straße, die nun doch recht viele Schlaglöcher aufwies, führte mich vorbei an den riesigen Blumenfarmen rund um den See, von denen alle in Europa erhältlichen kenianischen und 70 % aller in den USA verkauften Rosen kommen und in weiterer Folge am Hell´s Gate Nationalpark, in dem es Geothermalquellen gibt. Immer wieder grasten neben der Straße Zebras, Antilopen und Giraffen, vor deren möglicher Existenz auf der Straße auch etliche Hinweisschilder warnten. Als ich den See etwa halb umrundet hatte, hörte plötzlich das Asphaltband auf und die Straße bestand primär aus staubigen Schlaglöchern, was mein Vorankommen wesentlich verlangsamte. Doch immer wieder boten sich herrliche Blicke über den See und die Landschaft wurde langsam hügeliger. Schließlich war die Straße wieder asphaltiert und schlängelte sich in herrlich weit geschwungenen Kurven durch die Hügel. Allerdings stand die Sonne nun bereits tief über dem Horizont. Als ich letztendlich wieder auf die Hauptstraße nach Naivasha kam, war es bereits ziemlich dunkel. Nun bemerkte ich, dass das Rücklicht bei meinem Motorrad nicht funktionierte. Nun gut, von nun an also kenianischer Stil. Ich verstand in der Zwischenzeit die Logik des kenianischen Verkehrs ausreichend, um dieses Wagnis in Angriff zu nehmen – außerdem: was hätte ich sonst tun sollen?
Ich fuhr also zurück nach Naivasha, durch den Ort durch, und begann mich nach einigen Kilometern zu wundern, warum die Straße stetig anstieg, wo Longonot doch im Talgrund lag. Schließlich blieb ich stehen, um ein paar junge Männer am Straßenrand nach dem Weg zu fragen. Diese teilten mir mit, dass ich in Naivasha eine Abzweigung übersehen hatte, es jedoch ein paar Kilometer weiter eine Querverbindung nach Longonot gebe. Einer der Männer bot mir an, mir den Weg zu zeigen, wenn ich ihn mitnähme, da er sowieso in diese Richtung müsse. Ich ließ ihn aufsitzen und wir fuhren zu zweit weiter. Nach einigen Kilometern erreichten wir eine Tankstelle, an der ich mich dazu entschloss, aufzutanken, da mein Tank bereits recht leer war. Der Tankwart erklärte mir auf meine Nachfrage, dass es nur zwei Möglichkeiten gab, nach Longonot zu kommen: Entweder den neuen Highway Naivasha-Nairobi, auf dem ich mich befand, bis Mai Mahiu weiter zu fahren, oder aber zurück nach Naivasha und dort die alte Straße zu nehmen, wobei zweitere Option die wesentlich kürzere darstellte. Ich ließ also meinen jungen Sozius, welcher sich noch für die Mitnahme recht bedankte, an der Tankstelle stehen und fuhr wieder zurück Richtung Naivasha. Nach mehrmaligem Nachfragen fand ich schließlich die Verbindung zur alten Straße, die nach Longonot führte, und kam dort gegen halb neun Uhr an.
Da ich mordshungrig war, kehrte ich in einem der zahlreichen kleinen Restaurants an der Straße ein und bestellte „Nyama Choma“, das kenianische Nationalgericht, das nichts anderes ist, als gegrilltes Fleisch. Da es bereits spät war, rief ich Ben an, um ihm mitzuteilen, dass es mir gut ging und ich in etwa einer halben Stunde am Campingplatz sein würde.
Das „Nyama Choma schmeckte ausgezeichnet und war obendrein das wohl billigste Essen, das ich hier in Kenia haben würde. Zusammen mit zwei Flaschen Wasser und einem Tee zahlte ich 300 Keniashillings, was knapp drei Euro entspricht. Die Leute im Restaurant waren äußerst zuvorkommend und an meiner Person interessiert, aufgrund von Verständigungsschwierigkeiten kam es jedoch zu keiner ausführlicheren Kommunikation.
Gestärkt und hundemüde fuhr ich schließlich die letzten Kilometer zum „Shepherd´s Camp“ zurück, wo mir Ben das Tor öffnete, und ich bald darauf im Zelt in tiefen Schlaf verfiel.