Wer in Österreich Karten spielt kennt sie, die doppeldeutschen Spielkarten. Obwohl sie mit Figuren aus der Schweizer Wilhelm-Tell-Sage bebildert sind, werden sie hauptsächlich in Österreich, Ungarn und in einigen slawischen Ländern verwendet, und sind in der Schweiz nahezu unbekannt.
Die Bezeichnung „Doppeldeutsche“ ist eigentlich irreführend. Weder sind, noch waren sie in Deutschland weit verbreitet, noch stammen sie von dort. Viel treffender sind dementsprechend die Bezeichnungen „Mitteleuropäisches“ bzw. „Ungarisches Blatt“. Denn die Geschichte dieser Karten ist eine Geschichte des ungarischen Widerstands gegen die Habsburger.
Lange Zeit machte es den Anschein, als wäre der Wiener Kartenhersteller Piatnik der erste gewesen, der die Spielkarten mit den Wilhelm-Tell-Figuren ab dem Jahre 1865 gedruckt und vertrieben hatte. Im Jahre 1974 wurde jedoch in einer englischen Privatsammlung die bis dato älteste Ausgabe dieser Karten gefunden, welche den Vermerk „Zu finden bey – Joseph Schneider in Pesth.“ tragen. Der Medienhistoriker Jánoska Antal schreibt dazu, dass besagte Karten in den 1830er Jahre hergestellt wurden und ursprünglich Abbildungen von ungarischen Widerstandskämpfern zeigen sollten.
Karten des Widerstands
Die strenge Zensur der Habsburgerregentschaft hätte die Veröffentlichung solcher Karten jedoch niemals zugelassen, also wich der Kartenmaler Joseph Schneider auf die Figuren der Wilhelm Tell-Legende aus. Diese spielt in der Schweiz, doch erzählt sie die Geschichte der erfolgreichen Ermordung des habsburgischen Landvogts Hermann Gessler durch Wilhelm Tell. Der Legende nach, soll Gessler im Orte Altdorf einen Hut auf eine Stange stecken lassen und den einheimischen Untertanen befohlen haben, diesen Hut beim Vorbeigehen zu grüssen. Wilhelm Tell verweigert dies, woraufhin Gessler ihn zwingt, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes zu schiessen. Tell tut dies, trifft, wird gefangen genommen, entflieht, und bringt zu guter Letzt den Vogt zur Strecke – und wird so zum Helden. Joseph Schneider war bei der Herstellung seiner Karten offensichtlich inspiriert vom Drama um Wilhelm Tell und der erfolgreichen Auflehnung gegen die Habsburger in der Schweiz.
Es ist wahrscheinlich der rigiden Zensurpolitik der Habsburgermonarchie zuzuschreiben, dass bis 1974 keine Hinweise auf die originale, ungarische Kartenfabrikation gefunden wurden – denn nach der Niederschlagung der ungarischen Revolution im Jahr 1848/49 wurde subversives Material im großen Stil beschlagnahmt und vernichtet. Aller Zensur zum Trotz waren die Tell-Karten zu dieser Zeit sehr beliebt.
Alles für’s Geschäft
So wirkt es sehr skurril, dass gerade der Wiener Kartenhersteller Ferdinand Piatnik, ein Anhänger des österreichischen Kaiserhauses, im Jahre 1850 ein Tarock-Kartenspiel „Szenen aus der vaterländischen Geschichte“ verlegte, das die ruhmreiche Habsburgergeschichte in Bild und Text zeigte, 15 Jahre später das doppeldeutsche Blatt auf den Markt brachte, dessen Bebilderung symbolhaft für den ungarischen Widerstand gegen die Habsburger steht. So wie es aussieht war Piatnik wohl ein geschäftlicher Opportunist – und das ist es halt, was einen wahren Geschäftsmann ausmacht.
Quellen / Weiterführende Literatur
- Magyar kártya története/Geschichte der ung. Karten (Ungarisch)
- Jánoska Antal über die Geschichte der ungarischen Karten (Ungarisch)
- Central european playing cards in der Englischen Wikipedia
- „Szenen aus der vaterländischen Geschichte“ auf habsburger.net
- Geschichte der Ersten Ungarischen Kartenfabrik AG auf talon.cc (pdf)