Samstag, Dezember 21, 2024
Diary

Obszöne Tischbeine

Königin Viktoria 1887 (wikimedia commons)
Königin Viktoria 1887 (wikimedia commons)

Historisch wird gemunkelt, dass die Briten und Amerikaner während des Viktorianischen Zeitalters (19. Jh.) relativ prüde gewesen sein sollen. Den damaligen Sitten zufolge, hielten Ladies und Gentlemen dieser Zeit Sex für eine tierische und primitive Unart. Lediglich zur Fortpflanzung, und auch da nur sparsam, galt das unzüchtige Verhalten als angebracht.

Wer zu freizügig lebte, riskierte die eigene Berufskarriere aufs Spiel zu setzen. Die Unfähigkeit, seinen Körper zu kontrollieren, sich also sexuellen Vergnügungen hinzugeben, wurde von manch‘ strengen Zeitgenossen als Gefahr für die gesamte Wirtschaft gesehen.

Dementsprechend bieder kleideten sich Damen und Herren der feinen Gesellschaft. Nackte Frauenbeine waren dermaßen verpönt, dass die damaligen Kleider gewöhnlich über den Knöchel ragten, und es sogar als anstößig galt, das Wort „leg“ überhaupt in den Mund zu nehmen. Wer aus besserem Hause stammte, bezog sich sprachlich auf Frauenbeine, indem man den Ausdruck „limb“, also Gliedmaß, verwendete.

Viktorianische Frauenmode um 1905 (wikimedia commons)
Viktorianische Frauenmode um 1905 (wikimedia commons)

Lange Zeit kursierte gar die Legende, dass im Viktorianischen Zeitalter sogar Tisch- und Klavierbeine verhüllt wurden, da diese an die selten erblickbaren Damenbeine erinnerten. Entweder Tischdecken, oder gar spezielle „Höschen“, verdeckten den Blick auf das unanständig anmutende Holz. Erst als diese Legende gut etabliert war, stellte sich heraus, dass sie auf ein satirisches Tagebuch des Engländers Frederick Marryat zurückgeht, der die Verhältnisse in einem Mädcheninternat überdramatisch dargestellt hatte.

Nicht alles ist so, wie man sich erzählt. Das traf auch auf das gelebte Sexualleben der Bevölkerung zu. Neben der sittlichen Tabuisierung von Sexualität boomte die Prostitution. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts soll es alleine in der Innenstadt von London rund 3500 Bordelle gegeben haben, wobei in manchen Stadtteilen jedes zweite Haus „von zweifelhaftem Rufe“ war. Kein Wunder also, dass ein gelegentlicher „Abstecher“ des selbstbeherrschten und treuen Ehemannes in ein Seitengässchen wohl kaum auffiel.

Quellen / Weiterführende Links

2 thoughts on “Obszöne Tischbeine
  1. Hallo,

    eigentlich war ich auf der konkreten Suche nach adäquaten Tischbeinen für meinen neuen Holztisch, allerdings fand ich diesen historischen Exkurs mehr als interessant! Was früher bald schon als anstößig galt, ist nun ein Dekorationsaccessoire. Wie sich Zeiten ändern. :-D

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