Samstag, Dezember 21, 2024
Diary

Philosophie in Aktion

Diogenes (wikimedia commons)
Diogenes (wikimedia commons)

Bei Streitgesprächen kommt es hin und wieder vor, dass jemand verteidigend einwirft, ein Argument sei zu philosophisch. „Das ist philosophisch betrachtet vielleicht so!“ oder „Jetzt bitte nicht zu Philosophieren beginnen!“ sind Beispiele für Einwürfe zur Abwehr von Argumentationslinien, die den Eindruck erwecken zu kopflastig bzw. zu theoretisch zu sein. Doch Philosophie bedeutet nicht immer, um den heissen Brei herumzureden. Sie kann auch gut durchdachte Grundlage praktischen Handelns sein.

Einer der berühmtesten Vertreter derartig praktischer Philosophie war Diogenes von Sinope (~410 v. Chr – ~320 v. Chr). Obwohl Diogenes vermutlich niemals selbst Schriften verfasst hat, existieren zahlreiche überlieferte Anekdoten rund um das Leben und Wirken des Philosophen. Sie zeichnen das Bild eines Mannes, der nichts am Hut hatte mit Dingen, die nicht notwendig erschienen. Lediglich die menschlichen Grundbedürfnisse nach Essen, Trinken, Bekleidung, Unterkunft und Geschlechtsverkehr sollten seinen Ansichten zufolge unhinterfragt gestillt, alle weiteren Bedürfnisse könnten abgelegt werden.

Diogenes führte sein Leben nach diesen Grundsätzen. Er lebte auf der Straße, ernährte sich von Wildpflanzen oder Almosen, und schlief in Säulengängen oder anderen einfachen Behausungen („Der Weise in der Tonne“). Obwohl es damals als unanständig galt, am Marktplatz zu essen, speiste er dort regelmäßig. Seiner Ansicht nach sollte nichts, was im Privaten keinen Scham hervorruft, in der Öffentlichkeit verpönt sein. So soll Diogenes auch seine sexuellen Bedürfnisse befriedigt haben, indem er öffentlich masturbierte. Sein Lebenswandel und seine Schamlosigkeit brachten ihm schließlich den Beinamen „Hund“ (kýōn) ein – ein Beiname, der ihm angeblich sehr zusagte.

Den Praxisbezug seiner Lebensphilosophie demonstrieren zahlreiche Geschichten:

  • Alexander der Große kam nach Korinth, um seinen Kriegszug gegen die Perser vorzubereiten und die ansässigen Staatsmänner und Weisen zu treffen. Da Diogenes wenig an der Anwesenheit des Königs interessiert war und in der Gosse blieb, soll Alexander zu ihm gekommen sein. Alexander traf ihn in der Sonne liegend an und fragte Diogenes, womit er ihm dienen könne. Da meinte dieser ruhig: „Geh mir nur ein wenig aus der Sonne!“.
  • Das Verhältnis von Platon und Diogenes soll nicht das beste gewesen sein. Zu unnötig bemüht schien ihm wohl das eifrige Schaffen Platons. Als Diogenes davon hörte, dass Platon Beifall für seine Definition des Menschen als „federloses, zweibeiniges Tier“ erhielt, soll er einen Hahn gerupft haben und in dessen Schule gebracht haben: „Das ist Platons Mensch!“.
  • Als Diogenes zu einer Menge trat, die einem öffentlichen Redner zuhörte, soll er sich hingestellt und einen gesalzenen Fisch in die Höhe gehalten haben. Nachdem er so schließlich die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich gezogen hatte, meinte er, dass es wohl eine ziemlich belanglose Rede sein müsse, wenn Pökelfleisch mehr Interesse erweckt als gelehrte Philosophie.

Der Aufruf, sich in einer Diskussion nicht in Philosophie zu verlieren, soll darauf hinweisen, sich an einfachen Regeln zu orientieren, anstatt sich mit theoretischen Spitzfindigkeiten aufzuhalten. Diogenes Philosophie ruft zum Hinterfragen gesellschaftlicher Konventionen und fragwürdiger Notwendigkeiten auf. Philosophie kann so gesehen auch ein Mittel dazu sein, Dinge zu vereinfachen – und nicht zu philosophieren die Sachlage höllisch kompliziert machen.

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