Zentrales Hochland, 13.09.2019
Nachdem ich auf meinem ganz privaten „Glampingplatz“ herrlichst geschlafen hatte, machte ich mich morgens auf den Weg, um in einer großen Schleife rund um den bis zu 4000 Meter hohen Aberdare-Gebirgszug nach Nairobi zurück zu fahren, um einerseits nicht den gleichen Weg retour nehmen zu müssen, den ich gekommen war und andererseits noch ein wenig die Freiheit auf zwei Rädern auskosten zu können. Die Boxer und ich verstanden uns mittlerweile prächtig, und so wollte ich noch ein wenig mit ihr herum kurven.
Nachdem ich aufgestanden war, entdeckte ich, dass der gesamte Elementeitasee von pinken Flecken überzogen war. Riesige Flamingokolonien bewohnen seine Uferbereiche. Ich packte mein Zelt zusammen und fuhr zunächst den See entlang zurück, bis ich kurz vor Gilgil ins kleine Örtchen Kikopey kam. Kikopey ist nicht irgendein Ort, sondern Kenias berühmtester Truckerstopp. Ähnlich wie in Longonot reiht sich der Straße entlang ein „Nyama Choma“-Restaurant ans andere. Hier gibt es derer allerdings so viele, dass die Konkurrenz derartig groß ist, dass es sich schlichtweg keines davon leisten kann, schlechte Qualität zu bieten. Ein idealer Ort, um mein Frühstück zu mir zu nehmen, ehe ich damit begann, die über 250 geplanten Tageskilometer nach Nairobi tatsächlich in Angriff zu nehmen. Ich stellte mein Motorrad aufs Geratewohl vor einem der zig Läden ab und bestellte einmal „Nyama Choma“ zum Frühstück – wohlweislich eine kleine Portion, da ich aus Longonot bereits wusste, wie üppig diese ausfallen konnten. Das Ziegenfleisch schmeckte tatsächlich vorzüglich und war ausgesprochen weich und saftig. Gestärkt bedankte ich mich bei Peter dem Wirt und begann meine heutigen Kilometer abzuspulen.
In Gilgil bog ich auf die Straße Richtung Nyahururu ab, welche in nördliche Richtung westlich an den Aberdarebergen vorbei führt. Langsam aber stetig stieg die Straße aus dem trockenen Grabenbruch heraus an und führte alsbald durch eine hügelige, fruchtbar-grüne Landschaft. Immer wieder taten sich großartige Blicke auf die Aberdares auf.
Plötzlich sah ich am Straßenrand ein Schild „Äquator“ Wie mir nicht bewusst gewesen war, würde ich diesen heute überqueren. Ich blieb stehen, um ein Foto zu machen. Ein schon etwas älterer Mann sprach mich an und stellte sich als John vor. Er würde mir beweisen, dass ich mich tatsächlich genau am Äquator befinde. Er hatte einen mit Wasser gefüllten Plastikkrug und als Trichter eine Plastikschale, in deren Boden ein kleines Loch gebohrt war, bei sich. Er goss Wasser in den Trichter, legte einen Strohalm aufs Wasser und demonstrierte so, dass das Wasser im Trichter genau am Äquator ohne Drehung abfloss, sich auf der Nordhalbkugel nur wenige Meter davon entfernt beim Abfließen im Uhrzeigersinn und wenige Meter auf der Südhalbkugel gegen den Uhrzeigersinn drehte. Dazu erklärte er, dass die Ursache dafür in der Erdumdrehung und der Corialiskraft zu finden sei. Seine Vorführung war so überzeugend und nett dargebracht, dass ich nicht anders konnte, als ihm eine kleine Löwenfigur aus Speckstein abzukaufen, welche er auf seinem einfachen Stand direkt südlich des Äquators anbot. Da mischte sich der Betreiber eines zweiten Standes direkt daneben – jedoch in der nördlichen Hemisphäre – ein, stellte sich als James vor und bat, ich möge doch auch ihm etwas abkaufen. Als ich ihm erklärte, dass er leider zu spät gekommen sei, mokierte er, dass ihm selbiges immer passiere, ich möge doch wenigstens schauen. Es entspann sich ein unterhaltsames Dreiergespräch in dessen Verlauf ich die beiden fragte, ob sie Brüder seien, worauf James meinte, nur alte Freunde, aber sie arbeiteten bereits seit so vielen Jahren zusammen, dass sie einander bereits so ähnlich sähen. Die Show der beiden war derartig liebenswürdig, dass ich schließlich auch James eine kleine Specksteinschachtel in der Form von Afrika abkaufte. Schließlich erzählten mir die beiden noch, dass es in der nahen Stadt Nyahururu, auf über 2300 Metern die höchstgelegene Stadt Kenias, die sogenannten „Thomson Falls“ zu besichtigen gäbe, einen nach dem schottischen Afrikapionier Joseph Thomson, von dem auch die gleichnamige Gazellenart sowie die Aberdareberge ihren Namen bekommen haben, benannten Wasserfall. Ich bedankte mich für den Hinweis und fuhr weiter.
Bald darauf kam ich in Nyahururu an und stoppte, um in einem einfachen Restaurant an der Straße Kaffee zu trinken. Ich bekam den ersten Löskaffee meiner Reise serviert, denn für gewöhnlich bekommt man hier „Kenyan Coffee“, der in einer Pressstempelkanne zubereitet wird. Allerdings war der Löskaffee überraschenderweise zumindest von einer kenianischen Firma also kein Nescafé. Im kleinen Lokal war ich ein Hingucker, wobei mir die Leute freundlich aber zurückhaltend entgegen traten. Ich trank meinen Kaffee, fragte nach dem Weg zu den „Thomson Falls“ und machte mich wieder auf den Weg. Der 74 Meter hohe Wasserfall liegt gleich am Stadtrand von Nyahururu. Er ist das lokale Tourismushighlight, weswegen sich in seinem unmittelbaren Umfeld Horden von Händlern und Einheimischen tummeln, die mit allen möglichen Mitteln versuchen, Geld zu lukrieren. So kann man zum Beispiel gegen Geld traditionell gekleidete Mitglieder des hier heimischen Kikuyu-Stamms, eines der über 45 kenianischen Volksstämme (über die genaue Anzahl sind sich selbst Kenianer nicht einig), oder sich selbst mit kleinen Chamäleons am Körper ablichten. Eine fröhliche, dicke Frau namens Grace stellte sich mir als Fremdenführerin zur Verfügung natürlich nicht, ohne mich danach in ihren Souvenirstand zu lotsen. Ich benutzte die Gelegenheit, um mir gleich einen neuen Safarihut und andere Kleinigkeiten zu kaufen, welche Grace von der Besitzerin eines benachbarten Standes einpacken ließ, die mir daraufhin natürlich auch noch ihr Repertoire andrehen wollte. Es war gar nicht so leicht, von dort weg zu kommen, doch schließlich hatte ich es geschafft und erfragte, dass ich mich bereits auf der Straße nach Nyeri, der nächsten Stadt auf meiner Route befand.
Da ich weder genau wusste, wie weit es noch bis nach Nairobi war, noch in welchem Zustand die Straßen bis dorthin sein würden, versuchte ich nun Kilometer zu machen. Angenehmerweise blieb die Straße weiterhin in sehr gutem Zustand und auch das Verkehrsaufkommen war gering. So kam ich schnell vorwärts und konnte die Fahrt in vollen Zügen genießen. Es ging nun nördlich der Aberdares vorbei, auf welche sich immer wieder wunderschöne Blicke auftaten. Ich fuhr vorbei am Aberdare-Nationalpark sowie am privaten Solio Rhinozerosreservat, einem der wichtigsten Zuchtzentren für Spitzmaulnashörner in Afrika, überquerte ein weiteres mal den Äquator, aber machte nur kurze Pausen, um einen besonders schönen Blick zu genießen, mir die Beine zu vertreten und einmal um zu tanken und kam so schließlich am frühen Nachmittag nach Nyeri, wo Baden Powell, der Gründer der Pfadfinderbewegung seinen Lebensabend verbrachte und auch begraben liegt. Obwohl Nyeri keine Kleinstadt mehr ist, hat es durch seine verstreute Lage auf mehreren Hügeln eine angenehme kleinstädtische Atmosphäre. Trotzdem hielt ich mich nicht lange dort auf, wollte ich doch vor Einbruch der Dunkelheit nach Nairobi kommen.
Von Nyeri ging es weiter in südöstliche Richtung, wobei sich nun herrliche Blicke auf das Mount Kenya Massiv zu meiner Linken auftaten. Zwar war der Gipfel in einer Wolkendecke versteckt, doch war der Anblick trotzdem beeindruckend. Kurz nach Sagana, ein Ort der gerade dabei ist, sich als kenianisches Raftingzentrum am gleichnamigen Fluss zu etablieren, machte ich noch einmalStopp, um eine Kleinigkeit in einem einfachen Restaurant neben der Straße zu essen und mein Sitzfleisch ein wenig zu entspannen, schließlich hatte ich heute nun bereits einige Stunden auf der Boxer verbracht und bis nach Nairobi würde es wohl noch etwa zwei Stunden dauern. Es war nun vier Uhr nachmittags, somit sollte es sich ausgehen, vor Einbruch der Dunkelheit nach Nairobi zu kommen.
Als ich mich Thika, der letzten größeren Stadt vor Nairobi, näherte, säumten die Straße zahlreiche Ananasplantagen. Kurz vor Thika begann der vierspurige Ausbau der Straße – Autobahn sozusagen. Von nun an ging es schnell voran, auf abschüssigen Abschnitten zeigte der Tacho der Boxer kurzfristig sogar über 100 km/h. Der vierspurige Ausbau der Straße mit baulich getrennten Richtungsfahrbahnen bedeutete jedoch nicht, dass es hier keine „Speed Bumps“, also Querschwellen zur Geschwindigkeitsbegrenzung, wie sie in Kenia überall zu finden sind, gab – meist in Verbindung mit Zebrastreifen. Zahlreiche in Bau befindlichen Fußgängerbrücken zeugten jedoch davon, dass scheinbar versucht wird, dieses Paradoxon langfristig zu beenden.
Ich schaffte es, um 18 Uhr deutlich vor Einbruch der Dunkelheit Nairobi zu erreichen. Sobald die „Autobahn“ zu Ende war, steckte ich jedoch selbst mit dem Motorrad im Feierabendverkehr fest. Außerdem bedurfte es einiger Zeit und kleinerer Umwege, um selbständig den Motorradverleih zu finden, an dem ich die Boxer zurückgeben musste. Bis ich es geschafft hatte, war es dann doch wieder finster geworden.
Zur gefürchteten Teilnahme am kenianischen Verkehrsgeschehen kann ich nur sagen, dass diese halb so wild ist, wie man meint. Hauptstraßen sind größtenteils in einem akzeptablen Zustand, bei Nebenstraßen weiß man, was einen erwartet, und wenn man offizielle Verkehrsregeln vergisst, aber sich stattdessen die Mühe macht, zu verstehen, wie der Verkehr hier funktioniert, ist es herrlich, mit dem Motorrad herum zu fahren. When in Rome, do as the Romans do und alles ist kein Problem.