Sonntag, November 17, 2024
Diary

Afrikanisches Tagebuch #8 Arthur’s Horror

Lukenya, 14. – 15.09.2019

Lukenya ist ein wenige hundert Meter hoher, allein stehender Gneishügel, der etwa 40 Kilometer südöstlich von Nairobi die Ebene überragt, so wie es dort viele Hügel tun. Das besondere an Lukenya ist, dass sich an seiner Ostseite bis gut 100 Meter hohe Felswände befinden. Nicht zufällig gehört dieser Teil des Hügels dem Mountain Club of Kenya (MCK) und dort befindet sich das Outdoorkletterzentrum des Clubs. Der MCK hat sich dem traditionellen Klettern, ohne Sicherungsmaterial in der Wand zu lassen, verschrieben. Somit sind, abgesehen von einer kleinen eingerichteten Sportkletterwand, die primär für ausländische Sportkletterer, welche nicht alpin klettern können, gedacht ist, überall fast sämtliche Sicherungen und Stände selbst einzurichten.

Hauptwand

Dorthin fuhr ich mit Palvi um zu klettern. Wir verließen Nairobi nach einem ausgiebigen Frühstück, kauften am Weg noch Proviant und kamen am frühen Nachmittag am Fuße Lukenyas an. Als erstes wurde im Schatten eines Akazienbaums gejausnet. Alsdann zogen wir uns das Kletterzeug an und begannen mit ein paar einfachen Ein-Seillängen-Routen am wunderbar griffigen Fels. Die Herausforderung war definitiv nicht die technische Schwierigkeit, sondern sämtliche Selbstsicherungen selbst zu setzen und auch die Stände am Ende der Route selbst zu bauen. Der Glimmergneis Lukenyas erwies sich jedoch als wunderbarer Kletterfels, der alles zu bieten hatte, was das Kletterherz begehrt: kleingriffige Platten, großhenkelige Kanten, enge und weite Risse, Überhänge und ausgesetzte Pfeiler. Angenehmerweise verschwand die Sonne, bald nachdem wir angefangen hatten, hinter dem Gipfel Lukenyas, wodurch wir im Schatten klettern konnten. Vom oberen Ende der Routen sah man in der Ebene Zebras, Antilopen und Gnus grasen. Nachdem wir uns gut eingeklettert hatten, wagten wir uns an die Route „Boulder Plate (Three)“ eine schon recht anspruchsvolle Platte, in der an einer Stelle, wo es keinerlei Sicherungsmöglichkeiten gibt, ein bis heute sehr umstrittener und viel diskutierter Haken in der Wand eingebohrt ist. Mithilfe dessen konnte ich sie jedoch klettern, und Palvi befand mich als würdig, am darauffolgenden Tag mehrere Seillängen an der Hauptwand zu klettern.

Route Bee Buttress
Oben

Es war nun bereits späterer Nachmittag und wir beschlossen, das Klettern für heute sein zu lassen und auf den Gipfel Lukenyas zu fahren, wo der MCK einen Campingplatz für die Kletterer unterhält, wobei Campingplatz dabei recht übertrieben ist. Da das Gelände dem MCK gehört und den Gipfel ein weitläufiges Plateau bildet, darf man dort campen, es gibt jedoch keinerlei Infrastruktur, selbst das Feuerholz muss man selber mitbringen. Allerdings bieten sich von dort herrliche Ausblicke auf die umliegende Ebene. Wir stellten unser Zelt auf und alsbald wurde mit anderen Kletterern, die die Nacht dort verbringen würden, geplaudert. Als es finster wurde, wurde ein Lagerfeuer entzündet, auf dem gemeinsam gekocht wurde. Plötzlich stieg hinter dem Horizont im Osten riesengroß und orange der Vollmond empor, während man auf der westlichen Seite des Hügels auf die Lichter Nairobis hinunter sah.

Bei Bier, Wein, Fachsimpelei und viel Spaß bis in die frühen Morgenstunden klang der Tag äußerst gemütlich aus.

Am nächsten Morgen wurde wiederum ausgiebig gefrühstückt und danach zusammen gepackt, ehe es den schmalen Hohlweg wieder hinab ging zum Fuß der Kletterfelsen. Die Fahrt erwies sich als weitere Safaripirschfahrt. Über Nacht waren die Tiere aus der Ebene offensichtlich auf den Hügel hinauf gewandert und so fuhren wir unmittelbar an Zebras, Gnus, Giraffen, Antilopen und Warzenschweinen vorbei beziehungsweise direkt zwischen ihnen hindurch.

Arthur’s Horror

Ziemlich beeindruckt begannen wir die Vorbereitungen für die Begehung von „Arthur´s Horror“, der vom britisch-kenianischen Fotografen und ostafrikanischen Bergpionier Arthur Firmin zusammen mit dem späteren Gouverneur Kenias Charles Evelyn Baring 1936 erstbegangenen, allerersten gekletterten Route in Lukenya. Ein wahrer Klassiker also. Als wir am Fuß der Wand standen, war es brütend heiß und wir überlegten kurz, mit dem Einstieg ein wenig zu warten. Glücklicherweise entscheiden wir uns dagegen, denn kaum in der Wand kam eine angenehme Brise auf. Die erste Seillänge kletterte ich im Vorstieg. Sie beginnt an einer geneigten Platte, die gegen Ende in einen markanten Pfeiler übergeht. Da sich die Route genau in der zentralen Abseilpiste der Hauptwand befindet, ist der Stand am Ende der ersten Seillänge angenehmer weise eingebohrt, sodass ich ihn nicht selbst anlegen musste. Auch die zweite Seillänge nahm ich als Vorsteiger in Angriff. Sie beginnt mit der Querung unter einem markanten Überhang, traversiert dann über herrliche Platten nach rechts ehe man zum wunderschönen, ausgesetzten Ausstiegspfeiler kommt. Als wir schließlich am breiten Band, dass den oberen Abschluss dieses Teils der Wand bildet, angekommen waren, war die Sonne bereits hinter Lukenyas Gipfel verschwunden, sodass wir eine angenehme, ausgiebige Pause machen konnten, um die Aussicht zu genießen. Anschließend seilten wir über die Abseilpiste ab. Nach einer Jause am Fuß der Wand, fuhren wir zurück nach Nairobi. Ich hatte ein weiteres einmaliges Kapitel zu meiner persönlichen Kletterhistorie hinzugefügt.

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