Auf die Comicreihe Grandville wurde ich aufmerksam über das grandiose Queen-Album Innuendo. Dessen Cover zieren nämlich die fantastischen Illustrationen des französischen Zeichners J J Grandville, der im 19. Jahrhundert für seine anthropomorphen Tier-, Pflanzen und Fabelwesen berühmt war.
Dieser Stil und die Zeit, in der der historische Grandville lebte, dienten dem britischen Comiczeichner und Autor Bryan Talbot als Inspiration für seine Comicreihe, in der die Tiere die Welt beherrschen und Menschen als entrechtete Unterschicht nur eine Nebenrolle spielen. Held der Reihe ist Detective Inspector Archibald LeBrock von Scotland Yard (hier „Cour d’Ecosse“), ein knallharter, schlagkräftiger Dachs mir rauer Schale und weichem Kern, der nicht nur wegen seinem schwarzweißen Fell sofort in jedem Film Noir mitspielen könnte. Er und sein Gehilfe Ratzi werden immer wieder in Fälle hineingezogen, die sie unweigerlich an den Nabel dieser Welt führen, die Hauptstadt des weltumspannenden französischen Imperiums, die Stadt der Lichter: Paris. Die titelgebende Grande Ville.
Obwohl Grandville nominell in der Gegenwart spielt, ist seine Welt in der Belle Époque stehengeblieben. Wie es sich für Steampunk gehört, ist die Technik von der stampfenden und dampfenden Sorte. Die wenigen Autos auf den Straßen sehen aus, als säße Gottlieb Daimler persönlich am Steuer. Und am Himmel kurven natürlich Luftschiffe herum.
Aber besonders macht Grandville, dass die Schöpfungsgeschichte dieser Welt weniger das Buch Genesis als vielmehr die Farm der Tiere war. Talbots Tiere kleiden sich, sprechen, denken und handeln wie Menschen und gleichzeitig nutzt der Zeichner wie sein historisches Vorbild die Vorstellungen, die wir mit bestimmten Tieren verbinden, gezielt aus, um ohne viele Worte markante Charaktere einzuführen. Fische und Kröten haben unweigerlich etwas Schleimiges an sich. Dachse sind knallhart, Ratten gerissen. Ein Krokodil mit der Knarre in der Hand bedeutet nichts Gutes und Einhörner sind geradezu messianische Figuren.
Zeichnerisch spielt Grandville in der absoluten Oberklasse. Es sieht spektakulär aus und die Zeichnungen sind voller Anspielungen und Details. Was die Geschichten betrifft, wird am ganz großen Zahnrad gedreht. Unter einer großangelegten Verschwörung von gekrönten Häuptern, Industriekapitänen und anderen zwielichtigen Gestalten tuts Inspektor LeBrock eigentlich nie. Das ist dann schon eher James Bond als Pulp Fiction, obwohl Talbot Quentin Tarantino als eine Inspirationsquelle nennt.
Vom Großmeister der Film gewordenen Melange übernimmt Grandville dafür die Verquickung von schwarzem Humor und exzessiver Gewalt, die Liebe zum Mexican Standoff und das fröhliche Vermengen aller möglichen (pop)kulturellen Einflüsse, von Monty Python bis Casablanca. Und natürlich zitiert es eifrig die Welt der Comics: Da demonstrieren die Schlümpfe neben Menschen im Schlumpfkostüm für ihre Rechte, ein betrunkener Paddington Bär torkelt durch London und zwei notorisch aufmüpfige Gallier hetzen als vergrindelte Agitatoren den Pariser Pöbel auf.
Grandville bezeichnet sich selbst als „Retro-Utopie voller Blut und Liebreiz“, und das trifft es ganz gut: Es ist ein brutales, actionreiches, romantisches, witziges, stilvolles Hirngespinst und baut in seine Weltmaschine alles ein, was ihm in die Finger kommt, vom Krieg gegen den Terror über Sektenumtriebe und Nazis bis zu Lucky Luke. Die fantastische Welt und die vielen mehr oder weniger versteckten Anspielungen machen das Lesen dieser Graphic Novels zu einer echten Entdeckungsreise. Zudem nimmt auch der übergeordnete Handlungsbogen wie ein Ozeandampfer langsam, aber mächtig Fahrt auf. Und mit Steampunk kriegt man mich sowieso immer. Ich freu mich jedenfalls schon tierisch darauf, demnächst den abschließenden fünften Band, Grandville Supreme, durchzuschmökern. Darin ist LeBrocks Gegenspieler ein T-Rex. Da wär mir ja das Kroko mit der Knarre als Feind noch lieber …
Die komplette Grandville-Saga gibt’s im Buchhandel und in der sehr ordentlichen deutschen Version auch in der Grazer Stadtbibliothek.