Samstag, April 20, 2024
Diary

Klein gegen Groß

…oder die Metamorphose eines Klettermoves

Vera in Action

Frei nach der Sendung mit Kai Pflaume heute mal ein paar Gedanken zum Thema „tall climbers dont climb they reach“ (Lynn Hill).

Bevor ich jedoch tiefer in die Materie eindringen werde, noch ein paar Erläuterungen zum Begriff „Affenindex“:

Geht man von Leonardo da Vincis Goldenem Schnitt aus, so sehen die idealen Proportionen eines Menschen vor, dass die Spannweite bei ausgebreiteten Armen von einem Mittelfinger zum anderen exakt der Körpergröße entspricht; d.h. 165cm groß – 165cm Spannweite.

Von Affenindex spricht man dann, wenn diese Spannweite über die Köpergröße hinausragt. Also 165cm Körpergröße und 168 Spannweite wäre ein Affenindex von +3.

Es gibt jedoch auch kletternde Menschen, bei denen genau das Gegenteil der Fall ist, dafür habe ich nun die Variable Koalaindex ins Leben gerufen. Denn mit einer Körpergröße von 169cm und einer Spannweite von 165cm beträgt mein Koala -4!

Im direkten Vergleich mit meinem groß gewachsenen Kletterpartner sieht das in etwa so aus:

Er: 186cm groß – 195cm Spannweite – Affenindex +9 Ich: 169cm groß – 165cm Spannweite – Koala -4 Unterschied in der Zuglänge 30cm!! Und da sag nochmal einer, die Größe spiele keine Rolle.

Aber da kommt nun die kleine Vera und belehrt mich eines Besseren, wobei wir nun in medias res gehen werden.

Wie immer freut sich der Klettermensch, wenn es in der gewohnten Kletterhalle nach längeren Pausen wieder neue Routen zu klettern gibt. Am allermeisten hüpft das Kletterherz beim Anblick der Hallenrouten eines tschechischen Schrauberteams namens „Art of Route“. Die Burschen können wirklich was und legen immer Wert auf Klettertechnik, vor allem die Füße sind gefordert, immer die richtigen Tritte zu benutzen, da es sonst wirklich schwerer wird als gedacht.

Also dann voller Elan losgeklettert, die ersten Touren gingen super. Knifflig, technisch anspruchsvoll und bei bester Tritttechnik kein Problem für kleinere Klettermenschen.

Doch plötzlich das böse Erwachen. Was ist da los mit mir? Mein Affenindex +9 Partner ist vor mir die 7er Route relativ locker geklettert. Ich denke, das kann ich auch, habe ja die bessere Klettertechnik.

Aber schon an der dritten Expressschlinge muss ich Pause machen. Was ist denn da passiert? Der rettende Griff so unendlich weit weg, klar, dass der Lange das so locker gemacht hat! Tritte auch nicht in Trittweite, ein Ansteigen der Wand bringt auch nichts. Mist!!

Ich drehe und wende mich in jede Richtung. Keine Chance. Dann von unten die bei allen kleinen Klettermenschen so beliebten Anweisungen von den Langen: Steig halt rechts hoch, dann kommst schon zum Griff hin.

Mehrere Versuche, den einzigen Tritt rechts anzusteigen schlugen fehl, zumal ich mein Knie schon fast beim Ohr hatte, und alle Yoga Übungen da beim besten Willen nicht die gewünschte Beweglichkeit bringen.

Dann der letzte Versuch, ein dynamisches Anspringen des eher flachen nicht sonderlich einfachen Griffes. Es gelingt, aber mein Herz schlägt wie wild (und das in der Halle). Hmmm… eigentlich nicht der Tschechen Stil.

Mein Beschluss steht fest. Wenn ich mit meiner kleinen Kletterpartnerin hier bin, muss sie die Tour vor mir klettern. Vera ist noch kleiner als ich, extrem fit und noch kreativer im Einsatz diverser Klettertechniken.

Gesagt getan.

Los Vera, auffi mit dir. Sie klettert los. Der knifflige Einstieg, kein Problem. Dann kommt schon bald diese blöde Stelle. Ich schweige und staune! Schon ist sie drüber, ohne Hänger ohne Nachdenken, ziemlich locker und unspektakulär.

Also, dass sie das so flott meistert, dachte ich mir nicht, obwohl ich ihr schon sehr viel zutraue und auch schon bei ihr gesehen habe.

Nachdem ich sie am Boden abgesetzt hatte, kam natürlich die Frage, wie sie das gemacht hatte. Denn bei dem Tempo kam ich mit Schauen gar nicht nach, geschweige denn mir das auch nicht merken konnte.

Vera also nochmal hoch, doch dann die Überraschung. Sie weiß es nicht mehr. Tja oft ist intuitiv Klettern auch nicht schlecht. Vera ist aber ein schlaues Mädchen und nach ein paar Mal hin und her hatten sie es wieder!

Nicht mit dem rechten Fuß, sondern mit dem linken hochsteigen. Dann reicht der linke Arm locker zum schwierigen Griff und die Balance kann auch gehalten werden.

Resümee:

Auch als Klettermensch mit erheblichem Koalaindex können Klettermoves bewältigt werden, die unerreichbar schienen.

Es ist zwar nicht immer so, aber auch die Langen haben Probleme. Wenn ich mich in einen Riss, ein Dach, eine Verschneidung oder Piaz wie auch einen kleinen Kamin quetsche, steigt mein großer Kletterpartner oft mit etwas schweißigen Händen ein.

Viel Spaß beim Tüfteln!

Eure Gerlinde