Dienstag, März 19, 2024
Diary

Wenn der Wind die Harfe spielt…

    Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen
    Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
    Es schwebet nun in unbestimmten Tönen
    Mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich…
(J.W. Goethe, Faust I, 4. Strophe)

Wenn „Natürliches“ ästhetisch wahrgenommen wird, ist es zum spirituellen Empfinden oft nicht mehr weit. Auf visueller Ebene zeigen uns Ernst Haeckels Kunstformen der Natur oder Igor Siwanowiczs mikroskopische Fotografien wie beeindruckend Aspekte unserer Umwelt sein können. Akustisch inspiriert die Äolsharfe seit Jahrhunderten das magische Denken vieler Menschen. Zwar ist das Instrument menschengemacht, doch gespielt wird es vom Wind.

Zeichnung einer Äolssharfe im alten Schloß zu Baden-Baden (wikimedia commons)

Äolsharfen bestehen aus einem Resonanzkasten, sind beliebig groß und mit beliebig vielen Saiten bespannt. In der Regel sind die Saiten auf denselben Grundton gestimmt, variieren jedoch oft in Dicke, Material und Oberflächenbeschaffenheit. Streicht der Wind über die Saiten, werden sie in Schwingung versetzt und erzeugen Töne. Je nach Geschwindigkeit und Richtung entstehen Melodiefolgen oder auch Akkorde, in unterschiedlichen Lautstärken, mit unterschiedlichem Nachhall.

Schon seit der Antike lassen sich Menschen vom Saitenspiel des Windes bezaubern. So soll der biblische König David  seine Leier über dem Bett hängen gehabt haben, um den Windklängen lauschen zu können, und im Mittelalter wurde der heilige Dunstan von Canterbury der Zauberei bezichtigt, weil er sich zu eingehend mit der Äolsharfe beschäftigte. Nachdem es im Spätmittelalter still um die Äolsharfe wurde, findet sie seit dem späten 18. Jahrhundert wieder Eingang in literarische und musikalische Werke bekannter Kunstschaffender, wie Novalis, Goethe, Herder bzw. Beethoven, Liszt oder später Jan Garbarek.

Äolsharfe auf Schloß Hohenbaden (wikimedia commons)

Hört man die sphärischen Klänge der Äolsharfe, verwundert es kaum, dass sich Menschen immer wieder in der Verbundenheit mit dem Universum, mit Göttern oder Geistern fühlten. Auch wenn man die Magie aus dem Phänomen der Windharfe nimmt, weiß das tongenerierende, physikalische Prinzip der Strömungsmechanik zu begeistern: Werden (zylindrische) Körper (von Wind) umströmt, bildet sich eine Kármánsche Wirbelstraße, bei dem sich hinter dem Körper gegenläufige Wirbelströme bilden. Entsprechen diese Wirbelströme der Eigenresonanz der umströmten Saite, so beginnt diese zu schwingen. Durch die unterschiedliche Beschaffenheit der Saiten entsteht ein zufällig wirkendes, atmosphärisches Klangensemble mit Nachhall.

Karmansche Wirbelstraße als Wolkenphänomen über den Juan Fernández Islands nahe Chile (wikimedia commons)

Äolsharfen erfahren in den letzten Jahren eine kleine Renaissance und sind immer wieder als permanente oder temporäre Installationen an windigen Stellen oder in historischen Bauwerken zu finden. Auch in Teilen Südostasien findet sich ein ähnliches Kulturphänomen auf Drachen montiert wieder.

Zu beiden finden sich auf Youtube zahlreiche Kostproben. Sieht man sich die Kommentare dort genauer an, so stellt man auch fest, wie knapp die Einschätzungen als „magische Erfahrung“ oder „akustische Luftverschmutzung“ beisammenliegen. Je nach Zugang eben…

 

 

Quellen / Weiterführende Links