Heute sind Point-and-Click-Adventures, in denen wir durch 2D-Pixelgrafik laufen und durch Dialoge oder Kombination von Objekten Rätsel lösen, um in der Geschichte voranzukommen, ein Nischengenre. In den 80ern und 90ern waren sie mit Titeln wie Monkey Island, Indiana Jones oder Leisure Suit Larry dagegen riesengroß. Diese goldene Zeit beschwört das schöne Grafikadventure Kathy Rain erfolgreich und charmant wieder auf.
Worum geht’s? Es ist 1995, würden Fettes Brot singen (na ja, fast) und die junge Studentin Kathy Rain kommt nach vielen Jahren der Entfremdung zurück in das Kaff ihrer Kindheit, um dem Begräbnis ihres Großvaters beizuwohnen. Der war ein respektierter Pilot, bevor ihm 1981 etwas zustieß, das ihn für den Rest seines Lebens katatonisch im Rollstuhl dahinvegetieren ließ. Kathy fühlt sich schlecht, weil sie vor seinem Tod nicht mehr zu ihrem Opa fand, und als eine Art Wiedergutmachung will sie nun wenigstens herausfinden, was damals mit ihm passiert ist.
Bald stellt sich heraus, dass hinter Opas Schicksal mehr steckt als bloßes Unglück. Kathy kommt einer Sache auf die Spur, in der ein im See ertrunkenes Mädchen und Opas alte Air-Force-Kumpel ebenso eine Rolle spielen wie ein mysteriöser Glatzkopf, der wirkt wie der sinistre Bruder von Meister Proper. 90er Jahre, eine Kleinstadt neben einem großen Wald, unheimliche Ereignisse – das schreit alles geradezu Twin Peaks, und tatsächlich verströmt Kathy Rain viel vom Flair der legendären Serie. Das Finale spielt sogar an einem Ort, der Fans verdächtig an die berühmt-berüchtigte „Schwarze Hütte“ erinnern wird.
Allerdings ist Kathy Rain, auch wenn es einige durchaus ernste, vor allem persönliche Themen streift, insgesamt deutlich leichtfüßiger als die verstörende Lynch-Serie. Das liegt vor allem an Kathy selbst. Die leidenschaftliche Raucherin und Bikerin lässt sich von übernatürlichem Hokuspokus nämlich nicht besonders beeindrucken. Tatsächlich ist sie einer der Hauptgründe, warum mir das Spiel so gut gefällt. Kathy ist eine patente junge Frau, nie um einen sarkastischen oder zynischen Spruch verlegen, aber bei Weitem keine der Witzfiguren, die spätestens seit Guybrush Threepwood so oft die Helden in solchen Spielen geben. Am ehesten würde ich sie vergleichen mit George Stobbart aus Baphomepts Fluch oder vielleicht Indiana Jones.
Das ist ziemlich hoch ins Regal gegriffen, aber Kathy Rain erweist sich diesen großen Vorbildern als würdig. Nicht zuletzt, weil sie auch fantastisch gesprochen ist. Die (englischen) Sprecher sind generell gut, aber Kathy ist geradezu herausragend. So wächst sie mir ganz schnell ans Herz. Auch weil sie unter ihrer rauen Schale eine angenehm einfühlsame und menschliche Protagonistin ist, die selbst einige Päckchen mit sich herumträgt und teilweise ehrlich erschüttert ist über das, was sie herausfindet, ohne aber je ein Drama draus zu machen.
Der andere große Aspekt, der über Wohl oder Wehe solcher Spiele entscheidet, sind natürlich die Rätsel. Und auch in dem Bereich ist Kathy Rain vorbildlich. Die viele Adventures plagende Mondlogik suchen wir hier vergebens. Ich feiere zum Beispiel sehr, dass Kathy die Sympathie einer anfangs abweisenden Person nicht dadurch gewinnt, dass sie durch irgendwelche abstrusen Rätselreifen springt, sondern einfach, indem sie der offensichtlich starken Raucherin eine Tschik anbietet. Das ist realistisch und nachvollziehbar, das fühlt sich glaubwürdig und gut an.
Das Spiel stammt von einem schwedischen Entwickler und vielleicht liegt es an der skandinavischen Nüchternheit, dass Kathy Rain bei allen Twin-Peaks-Anleihen nie die Bodenhaftung verliert und realistischer und weniger „gamey“ daherkommt als viele andere Spiele. Es ist nicht besonders groß und umfangreich, aber seine kleine Welt gestaltet es sehr schön und durchdacht. An ein, zwei Stellen macht die Logik dann zwar doch eine kleine Fika-Pause, aber weil es relativ wenige Orte, Personen und Objekte gibt, man nicht sterben oder in Sackgassen geraten kann und das Spiel auch noch angenehm in einzelne Tage unterteilt ist, bleibt man nirgendwo lange hängen und steht auch nach einer längeren Spielpause nicht da wie der Ochs vorm Berg. Das macht Kathy Rain für mich zum idealen Feierabendspiel.
Das Spiel gibt es für wenig Geld für PC/Mac/Linux, Switch und Mobilgeräte, sowohl in der von mir gespielten Originalversion von 2016 als auch in einem etwas erweiterten Director’s Cut. Es gibt auch eine kostenlose Demo zum Anspielen. Ich kann das Spiel allen empfehlen, die mal wieder Lust auf ein schönes Adventure im Stil der 90er haben. Und ich hoffe auf einen Nachfolger, denn ich würde die gute Kathy nur zu gern wiedersehen.