Sonntag, Dezember 22, 2024
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(Anti-)Feminismus

Spiritualität als zentrales Merkmal "wilden Denkens" (Joseph Henry Sharp/ Prayer to the spirit of the buffalo via wikimedia commons)
Spiritualität als zentrales Merkmal „wilden Denkens“ (Joseph Henry Sharp/ Prayer to the spirit of the buffalo via wikimedia commons, gemeinfrei)

Der Ethnologe Claude Lévi-Strauss kam durch seine Forschungen zu der Überzeugung, dass das Denken aller Menschen – unabhängig von deren Kulturzugehörigkeit – auf der Bildung von Gegensätzen beruht (kalt-warm, groß-klein, Mann-Frau, etc.). Seinen Überlegungen zufolge, entwickelten sich auf diese Weise die unterschiedlichsten Weltbilder und Kulturen auf Basis des gleichen Prinzips. Während jedoch im „wilden Denken“ vieler Naturvölker soziale Ordnung hauptsächlich aus Assoziation und Kombination entsteht, zeichnet sich das „moderne Denken“ mehr durch empirische Beweisführung und Komplexitätsreduktion aus.

Anstatt alles auf einfache Erklärungsprinzipien zurückzuführen (z.B. Naturgeister oder Götter), werden beim „modernen Denken“ immer wieder neue Regeln und Systeme entdeckt, die den Lauf der Welt bestimmen. Eine Konsequenz daraus ist, dass der Mensch selbst anstatt übernatürlicher Kräfte im Zentrum des Denkens steht, eine andere, dass sich Wissensysteme immer weiter differenzieren und sich Spezialisierungen bilden, die beispielsweise dazu führen, ins All fliegen zu können oder Genmanipulation zu betreiben. Aus dem einfachen System von „gut“ und „böse“ wurden viele Systeme, die in „gut für“ und „schlecht für“ differenzieren, und gesellschaftlichen Fortschritt ermöglichen sollen.

Ob die (gegensätzlichen) Phänomene Feminismus und Antifeminismus heute nicht schon längst überholt und eigentlich „unvernünftig“ sind, soll hier geklärt werden.

Feminismus

Seit dem Schub der Aufklärung gilt dem modernen Menschen die Vernunft als Urteilsprinzip – und damit einhergehend die Bekämpfung von Vorurteilen, und die Hinwendung zu den Wissenschaften, um das Zusammenleben der Menschen zu erleichtern. Mehr persönliche Handlungsfreiheit, Bildung und allgemeine Menschenrechte sollten dem Gemeinwohl dienen. Diese Prinzipien gelten auch heute noch als Basis des modernen Rechtsstaats.

In der ersten Menschenrechtserklärung Europas im Jahr 1789 fehlten jedoch schon die politischen Rechte der Frauen. Da wohl auch die schlimmsten Sexisten auch heute nicht davon ausgehen, dass Frauen keine Menschen sind, oder nicht vernunftbegabt, ließ die berechtigte Kritik an dieser Diskriminierung nicht lange auf sich warten: Der moderne Feminismus war geboren.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts bildeten sich verstärkt Frauenbewegungen, die für das Frauenwahlrecht kämpften, die Beendigung der Mündelschaft durch Ehemann oder Vater, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, sowie den Zugang für Frauen zur Universität, zu allen Berufen und Ämtern. Durch den Kampf vieler Frauen und Männer wurden diese Forderungen zunehmend erfüllt. Doch noch im Deutschland der 1960er- und 1970er-Jahren durften Frauen rechtlich betrachtet keine Bankkonten eröffnen, ohne die Zustimmung des Mannes keiner Erwerbsarbeit nachgehen, oder selbst über die Verweigerung ihrer „ehelichen Pflichten“ (Vergewaltigung in der Ehe) bestimmen. Es ist dahingehend kein Wunder, dass viele Feministinnen radikale Positionen gegenüber „den bösen Männern“ bezogen – und damit auch dem Image der feministischen Bewegung schadeten.

In den westlichen Kulturen sind Frauen und Männer in rechtlichen Belangen mittlerweile fast gleichgestellt. Die Nachwirkungen einer jahrhundertelangen Diskriminierung dauern jedoch an: In vielen Berufen und Machtpositionen ist es für Frauen noch immer schwer Fuß zu fassen, und die durchschnittliche Entlohnung berufstätiger Frauen hinkt dem generellen Durchschnitt hinterher. Über Instrumente wie Quotenregelungen, Gender-Mainstreaming, sowie Wissenschaften wie die Gender Studies wird nunmehr versucht, diese Folgen aufzuarbeiten und auszubügeln.

Antifeminismus

Der Antifeminismus ist so alt wie der Feminismus selbst. Immer wieder bildeten sich im Lauf der Geschichte Gruppierungen, die gegen die fortschreitende Gleichstellung der Geschlechter mobil machten. Auch die Abwertung der Begriffe Feministinnen bzw. Emanzen für Frauenrechtlerinnen erklärt sich unter anderem durch die reichliche Verwendung durch antifeministischen Gegenbewegungen. Antifeministen richten ihre Anliegen gegen die Annahme, dass Männer und Frauen gleichwertig (oder gleich) wären, gegen Bestrebungen zur Verbesserung der sozialen Lage von Frauen, oder gegen „die machthungrigen Frauen“ selbst.

Durchforstet man das Internet, so scheint es, dass sich im Kontrast zum mittlerweile gleichstellungsorientierten Konsens in westlichen Gesellschaften und Medien, ein gewisser Antifeminismus breit macht. Nur wenige antifeministische Webseiten versuchen, ernsthaft Politik zu gestalten, und treten beispielsweise für mehr Vaterschaftsrechte oder mehr Gerechtigkeit bei Scheidungsverfahren ein. Viele andere Webseiten zeichnen sich lediglich durch ihren Hass auf Frauen oder Feministen aus. Die Schweizer Interessengemeinschaft Antifeminismus (IGAF) kanditierte anscheinend im Jahr 2011 bei der Parlamentswahl mit der Ansicht, dass „Frauen unter Feminismus leiden“.

Auf ihrer Webseite ist weiters zu lesen:

Die Radikalfeministinnen fordern seit Jahrzehnten mehr Rechte und mehr Privilegien. Sie sind aber ausserstande die dazugehörenden Pflichten zu übernehmen. Darum betrachten wir den Radikalfeminismus als verlogenes Gedankengut. Frauen profitieren überproportional, sie sind die grossen Systemprofiteusen ( Golden Girls ). Mittlerweile hat sich der Feminismus im Staat etabliert und treibt dort sein Unwesen. Beispiele sind Justiz, Polizei, Sozialbehörden und sie sitzen sogar im Steueramt. In den letzten Jahren wurden vom Staat tausende Jobs geschaffen die den Männerhass bewirtschaften und ausbauen. Das groteske daran ist die finanzierung, diese Jobs werden von Männlichen Steuergelder finanziert. Wir, die betroffenen Männer und anständigen Frauen empfinden die Schweiz nicht mehr als Rechtsstaat sondern als Unrechtsstaat. Wir finden, der Feminismus ist der Saubannerzug eines radikalen Frauenflügels. Wer das hintertreibt oder sogar umkehrt betreibt Propaganda für den Feminismus. (13.10.2014; http://www.antifeminismus.ch/)

Nach dieser Definition betreiben vermutlich sehr viele Menschen Propaganda für den Feminismus. In Deutschland heftet sich die Jugendpartei „Junge Alternative für Deutschland“ den Slogan „Vernunft statt Ideologie“ auf die Fahnen und startete Anfang des Jahres eine Aktion, bei der sich junge Menschen auf handgeschriebenen Zettel gegen Feminismus bekennen:

Man kann nun annehmen, dass die „Junge Alternative“ die Aussage für vernünftig hält, dass Frauen immer ein wenig Hilfe benötigen und der Beruf „Hausfrau“ etwas äußerst weibliches ist.

Der deutsche Musiker und Regisseur Valentin Ebersold ist ein selbsternannter Pionier des Genres der antifeministischen Komödie. Zum Plot einer von ihm geplanten Serie „Mr. Macho“ ist auf seiner Webseite zu lesen:

Die Welt ist überfüllt von radikalen Feministinen und nur einer kann die Welt retten: Manolo el Marrano oder kurz
Mr.Macho versucht mit seiner Gitarre die verlorenen „Schäfchen“ zu bekehren. Wird ihm das gelingen?

Bruno ist Journalist 50 J und ein Looser der im Auftrag der boshaften Helga (Redakteurin der Blind Zeitung)
den mysteriösen Antifeministen Mr.Macho verfolgen soll und dabei seine eigene Männlichkeit wieder entdeckt,
zur Freude der „normalen“ Frauenwelt (13.10.2014; http://www.mister-macho.com/)

Was die erste Folge von Mr. Macho „Die Strafe“ mit Antifeminismus zu tun haben soll, wird beim Ansehen nicht unbedingt klar:

und nun?

Mittlerweile ist das Bewusstsein über Notwendigkeit einer Gleichstellung der Geschlechter in der gesellschaftlichen Mitte angekommen. Die Vernunft würde nunmehr gebieten, faire und differenzierte Lösungen für bestehende Ungerechtigkeit zu finden. Schließlich sind die Unterschiede der Menschen eines Geschlechts oft stärker als die Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Stattdessen gruppieren sich immer noch viele Menschen unter den Labels des radikalen Feminismus oder des Antifeminismus, um, so wie es im „wilden Denken“ üblich ist, die Geschlechter in „gut“ und „böse“ einzuordnen, und gegen die jeweilig anderen aufzutreten. Sehr aufgeklärt ist das nicht, das wird ein langer Weg zum Mars!

 

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