Samstag, April 20, 2024
Diary

Michael Chabon: Wonder Boy

Dieser Beitrag wird uns von Markus Sammer präsentiert.

Michael Chabon ist ein u. a. mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneter  amerikanischer Schriftsteller. Ich habe von ihm bislang „Wonder Boys“ und „The Final Solution“ gelesen. „The amazing Adventures of Kavalier & Clay“ lese ich gerade. So unterschiedlich diese drei Geschichten thematisch sind, alle sind auf ihre Art Meisterwerke.

 

Michael Chabon, hier noch friedlich beim Signieren. (Wikimedia Commons)
Michael Chabon, hier noch friedlich beim Signieren. (Charlie Reiman, Chabonsigning, CC BY-SA 2.0)

Die Novelle „The Final Solution“ erzählt von einem alten Detektiv, der in einen letzten Fall verwickelt wird, als ein jüdischer Junge, ein Flüchtling aus Nazi-Deutschland, mit seinem Papagei in der Gemeinde auftaucht, wo der Detektiv seinen Ruhestand verbringt. Der Junge ist stumm, aber der Papagei spuckt andauernd scheinbar sinnlose Zahlenfolgen aus, in denen gewisse Personen den Schlüssel zu einem Schatz oder einem anderen lukrativen Geheimnis vermuten. Ein Mord geschieht, der Papagei verschwindet und der Detektiv setzt seine schwindenden Kräfte ein, um dem Jungen zu helfen und den Fall zu lösen. Der alte Mann ist Sherlock Holmes, auch wenn sein Name im Buch nie genannt wird. Der Titel ist eine Anspielung einerseits auf das Sherlock Holmes Abenteuer „The Final Problem“, das mit dem Tod des Detektivs endet (Arthur Conan Doyle ließ ihn später auf Druck der Leserschaft wieder auferstehen), andererseits auf die von den Nazis angestrebte, barbarische „Endlösung“ der „Judenfrage“.

Es  ist schon über 10 Jahre her, dass ich „Wonder Boys“ gelesen habe. Ich erinnere mich an einen fantastisch skurrilen Roman über einen College-Professor, ein alternder literarischer Wunderknabe mit kompliziertem Privatleben, der in einer Schaffens- und Sinnkrise bei der Vollendung seines aktuellen Werks steckt. Je opulenter sein bereits auf über 2000 Seiten angeschwollenes Opus wird, desto tiefer wird auch seine Krise. Dann taucht sein ausschweifender und dezent verrückter Redakteur Crabtree auf und der Wonder Boy erlebt ein Wochenende, das in seiner Abgefahrenheit einen John Irving oder Tom Robbins stolz machen würde. Wurde mit Michael Douglas und Robert Downey Jr. in den Hauptrollen kongenial verfilmt.

„The amazing Adventures of Kavalier und Clay“ handelt von zwei Jungs im New York Ende der Dreissiger Jahre, die mit ihrem Comic „The Escapist“ berühmt werden. In diesem Helden, einem meisterhaften Entfesselungskünstler, der sich für Eingesperrte und Unterdrückte auf der ganzen Welt einsetzt, verarbeitet vor allem der Zeichner, Josef Kavalier, seine Flucht – in einem Sarg mit einem Golem – aus dem von den Nazis besetzten Prag und die Sorge um seine dort zurückgebliebene Familie. Der Comic ist ein Riesenerfolg, aber seinem eigentlichen Ziel, seine Familie vor den Nazis zu retten, bringt er Kavalier nicht näher. Chabon beschreibt eindringlich das Leben im besetzten jüdischen Prag und das ewig jugendliche, optimistische und opportunistische New York. Bemerkenswert auch das alles andere als perfekte, aber für einen Flüchtling aus Europa perfekt passende Englisch, in dem Chabon Joe Kavalier anfangs sprechen lässt. Nebenbei ist das Buch auch eine Betrachtung über die Geschichte der Comic Books und damit ein Fest für alle Freunde dieses illustrierten Schunds wie mich.

Neben seinem literarischen Werk hat Michael Chabon auch einen wunderbar selbstironischen Auftritt bei den Simpsons absolviert, wo er schlagkräftig mit Jonathan Franzen, einem anderen Wunderkind der amerikanischen Literaturszene, diskutiert.